Preview only show first 10 pages with watermark. For full document please download

Experimentalphysik Iii - Thermodynamik

Skriptum zur Thermodynamik mit neuen didaktischen Ansätzen (Karlsruhe Physics Course)

   EMBED


Share

Transcript

PHYSIK III THERMO DYNAMIK F. HERRMANN SKRIPTEN ZUR EXPERIMENTALPHYSIK ABTEILUNG FÜR DIDAKTIK DER PHYSIK UNIVERSITÄT KARLSRUHE AUFLAGE 2003 F. Herrmann Physik III Thermodynamik Aus der Reihe Skripten zur Experimentalphysik: Physik I, Mechanik Physik II, Elektrodynamik Physik III, Thermodynamik Physik IV, Optik Alle Skripten der Reihe wurden bei www.physicsnet.org als “empfehlenswert” eingestuft. Druck: Universitätsdruckerei Karlsruhe September 2003 Alle Rechte vorbehalten 3 Inhaltsverzeichnis 1. Mengenartige Größen und der Aufbau der Physik ............................................7 2. Entropie und Temperatur .............................................................................................11 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14 Die Entropie als Wärmemaß ...........................................................................................11 Die Festlegung der Entropieskala ...................................................................................12 Entropie und Energie, die Festlegung der Temperaturskala ...........................................13 Die Einheiten von Temperatur und Entropie ..................................................................14 Wärmemotor und Wärmepumpe .....................................................................................15 Entropieerzeugung – reversible und irreversible Prozesse .............................................16 Der Wirkungsgrad ...........................................................................................................18 Das thermische Gleichgewicht.........................................................................................19 Die Messung von Temperatur und Entropie ...................................................................20 2.9.1 Die Messung der Temperatur ..............................................................................20 2.9.2 Die Messung der Entropie ...................................................................................20 Der erste und der zweite Hauptsatz .................................................................................21 Entropieinhalt am absoluten Nullpunkt ..........................................................................22 Die Entropiekapazität ......................................................................................................22 Die Entropieleitfähigkeit .................................................................................................25 Zur Geschichte des Wärmebegriffs .................................................................................27 3. Stoffmenge und chemisches Potential 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 .....................................................................29 Stoffe und Grundstoffe ....................................................................................................29 Die Menge .......................................................................................................................31 Das chemische Potential .................................................................................................33 Die Skala des chemischen Potentials ..............................................................................34 Der Nullpunkt des chemischen Potentials ......................................................................35 Die Werte des chemischen Potentials .............................................................................36 Beispiele für den Umgang mit dem chemischen Potential .............................................37 Der Reaktionswiderstand ................................................................................................40 Reversibel ablaufende Reaktionen – elektrochemische Reaktionen ...............................43 Irreversibel ablaufende Reaktionen – die Entropiebilanz chemischer Reaktionen .........44 4 4. Gibbssche Fundamentalform, Gibbsfunktion, Gleichgewicht ...................47 4.1 System und Zustand ........................................................................................................47 4.2 Die Gibbssche Fundamentalform ....................................................................................47 4.3 Gibbsfunktionen ..............................................................................................................49 4.4 Die Zerlegung von Systemen ..........................................................................................50 4.5 Energieformen .................................................................................................................52 4.6 Zustandsgleichungen .......................................................................................................54 4.7 Lineare Approximation der Gibbsfunktion .....................................................................58 4.8 Kreisprozesse ..................................................................................................................59 4.9 Warum die Energieform Wärme nicht in einem System enthalten sein kann ................60 4.10 Gleichgewichte ................................................................................................................62 4.11 Fließgleichgewichte ........................................................................................................64 5. Spezielle Systeme und Prozesse ...................................................................................67 5.1 5.2 5.3 5.4 Das ideale Gas .................................................................................................................67 5.1.1 Die thermische Zustandsgleichung des idealen Gases ........................................67 5.1.2 Die p- und die V-Abhängigkeit von Energie, Entropie und chemischem Potential bei T = const .........................................................................................68 5.1.3 Gelöste Stoffe als ideale Gase .............................................................................71 5.1.4 Das gravitochemische Potential ..........................................................................72 5.1.5 Gemische idealer Gase ........................................................................................73 5.1.6 Das Massenwirkungsgesetz ................................................................................74 5.1.7 Die zweite Zustandsgleichung: S = S(T, p, n) .....................................................75 5.1.8 Isentropen, Isobaren und Isochoren des idealen Gases .......................................77 5.1.9 Die dritte Zustandsgleichung: m = m(T, p, n) ......................................................78 5.1.10 Einfache Kreisprozesse mit idealen Gasen .........................................................79 Flüssigkeiten und Feststoffe ............................................................................................80 5.2.1 Das chemische Potential .....................................................................................80 5.2.2 Die Entropie von Feststoffen ..............................................................................82 Strömungen .....................................................................................................................84 5.3.1 Strömungen ohne Energiefluß durch die Rohrwand ...........................................85 5.3.2 Strömung eines idealen Gases ohne Energiefluß durch die Rohrwand ..............86 5.3.3 Isotherme Strömung des idealen Gases ..............................................................87 5.3.4 Ideale Strömungen inkompressibler Flüssigkeiten .............................................87 5.3.5 Flüssigkeitsströmungen im Schwerefeld ............................................................88 Phasenübergänge .............................................................................................................89 5.4.1 Phasen .................................................................................................................89 5.4.2 Phasenübergänge .................................................................................................89 5.4.3 x-X-Diagramme ...................................................................................................90 5.4.4 Die Clausius-Clapeyron-Gleichung ....................................................................91 5.4.5 Verdunsten und Sieden .......................................................................................92 5.4.6 Lösungen .............................................................................................................92 5 5.5 5.6 Reale Gase .......................................................................................................................93 5.5.1 Der kritische Punkt ..............................................................................................93 5.5.2 Die Van-der-Waals-Gleichung ...........................................................................93 5.5.3 Adiabatische Strömung eines realen Gases – der Joule-Thomson-Effekt ..........93 Das Licht-Gas .................................................................................................................95 5.6.1 Thermische Strahlung .........................................................................................95 5.6.2 Die Entropie des Lichts .......................................................................................96 5.6.3 Die Temperatur des Lichts ..................................................................................96 5.6.4 Das chemische Potential des Lichts ....................................................................97 5.6.5 Die Größe Strahldichte ........................................................................................98 5.6.6 Das Stefan-Boltzmann-Gesetz ..........................................................................100 5.6.7 Druck und Entropie der schwarzen Strahlung als Funktion der Temperatur ....100 5.6.8 Isotherme, isentrope und isoenergetische Expansion des Lichts ......................102 5.6.9 Die kosmische Hintergrundstrahlung ................................................................102 5.6.10 Das Gas-Kondensat-Analogon ..........................................................................103 5.6.11 Licht, dessen chemisches Potential ungleich null ist ........................................103 5.6.12 Energietransport mit thermischer Strahlung .....................................................103 5.6.13 Das Kirchhoffsche Strahlungsgesetz ................................................................104 6. Thermische Maschinen 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 .................................................................................................105 Überblick .......................................................................................................................105 Warum man Wärmekraftmaschinen benutzt .................................................................105 Maschinen mit äußerer Verbrennung ............................................................................106 6.3.1 Zyklisch arbeitende Maschinen – der Stirlingprozeß .......................................106 6.3.2 Strömungsmaschinen ........................................................................................107 Maschinen mit innerer Verbrennung ............................................................................109 6.4.1 Zyklisch arbeitende Maschinen – der Ottomotor ..............................................109 6.4.2 Strömungsmaschinen – die Gasturbine .............................................................109 Kältemaschinen .............................................................................................................110 6.5.1 Umgekehrter Stirling- und Clausius-Rankine-Prozeß ......................................110 6.5.2 Das Linde-Hampson-Verfahren ........................................................................110 7. Entropie und Wahrscheinlichkeit 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 ...........................................................................111 Die Datenmenge ............................................................................................................111 Verallgemeinerung des Zustandsbegriffs – das Gibbssche Ensemble ..........................113 Die Entropie einer Verteilung .......................................................................................115 Die physikalische Entropie eines Systems ....................................................................116 Entropie und Temperatur ..............................................................................................117 Entropie und Datenmenge .............................................................................................118 Literatur........ ............................................................................................................................119 Register ........................................................................................................................................120 7 1. Mengenartige Größen und der Aufbau der Physik Wir wollen damit beginnen, die Thermodynamik in den Rest der Physik einzuordnen. Wir müssen dazu einen kleinen Anlauf nehmen. Die Werte einer physikalischen Größe beziehen sich gewöhnlich auf ein bestimmtes geometrisches Gebilde. So beziehen sich die elektrische Feldstärke, die Temperatur und die Geschwindigkeit auf einen Punkt. Die Größen elektrische Spannung und Abstand beziehen sich auf zwei Punkte. Die Kraft oder Impulsstromstärke, die Leistung oder Energiestromstärke und die elektrische Stromstärke beziehen sich auf Flächen. Die Größen, um die es uns im Augenblick geht, die mengenartigen Größen , beziehen sich auf einen Raumbereich. Zu ihnen gehören die Energie, der Impuls, die elektrische Ladung, die Entropie, die Stoffmenge und noch einige andere. Die mengenartigen Größen spielen eine besondere Rolle in der Physik. Wir wollen einige ihrer Eigenschaften betrachten. Für jede mengenartige Größe X kann man eine Gleichung der Form dX = IX + S X dt (1.1) schreiben. Auch diese Gleichung bezieht sich auf einen Raumbereich. Sie lässt folgende Interpretation zu, Abb. 1.1: X stellt man sich vor als die Menge von irgendetwas: die Energiemenge, die Bewegungsmenge (im Fall des Impulses), die Elektrizitätsmenge, die Wärmemenge (im Fall der Entropie) oder die Stoffmenge. Der Term dX/dt stellt dann die zeitliche Änderung der Menge von X im Innern des Raumbereichs dar. Die Größe I X bezieht sich auf die Oberfläche des Raumbereichs. Man kann sie daher interpretieren als eine Stromstärke: die Stärke des Stroms der Größe X durch die Oberfläche des betrachteten Raumbereichs. Die Größe S X schließlich bezieht sich wieder auf das Innere des Raumbereichs und kann interpretiert werden als die Erzeugungsrate von X (wobei negative Erzeugung Vernichtung bedeutet). Bei dieser Interpretation erscheint Gleichung (1.1) als eine Bilanzgleichung. Sie sagt uns, dass sich die Menge X auf zweierlei Arten ändern kann: 1. dadurch, dass ein Strom von X durch die Oberfläche des Gebiets in das Gebiet hinein oder aus ihm heraus fließt, und 2. dadurch, dass im Innern des Gebiets Erzeugung oder Vernichtung von X stattfindet. Für manche mengenartigen Größen ist der Term SX immer gleich null. Diese Größen können ihren Wert nur durch Zu- oder Wegfluss ändern. Man nennt sie Erhaltungsgröß en. Zu ihnen gehören Energie, Impuls und elektrische Ladung. Beispiele für nicht erhaltene mengenartige Größen sind die Entropie S und die Stoffmenge n . So kann die Entropie zwar erzeugt, aber nicht vernichtet werden, während Stoffmenge sowohl erzeugt als auch vernichtet werden kann. Die Interpretation, die wir hier vorstellen, wird allein durch die Gestalt von Gleichung (1.1) gerechtfertigt. Tatsächlich ist sie für manche Größen üblich, für andere weniger. So ist jeder daran gewöhnt, sich die Größe Q als Elektrizitätsmen ge oder “Ladungsmenge” vorzustellen und entsprechend die Größe I als die Stärke des elektrischen Stroms. Die Bilanzgleichung für die elektrische Ladung lautet dQ =I dt Abb . 1.1. Die Änd erun g dX/dt kom mt auf zwe ierl ei Art zustande: durch Zu- oder Wegfluss und durch Erzeugung oder Vernichtung. 8 Die Bilanzgleichung für die Energie ist dE =P dt und die für den Impuls dp =F dt Zu der letzten Gleichung ist bekanntlich eine andere Interpretation üblich: Man sagt, auf den Raumbereich, oder einen Körper im Raumbereich, wirke eine Kraft, und dadurch ändere sich der Impuls im Innern des Bereichs. Es ist aber zweckmäßig, auch diese Beziehung so zu lesen wie die anderen Bilanzgleichungen: Die Änderung dp/dt des Impulses kommt zustande durch einen Impulsstrom der Stärke F. Jedes der großen Teilgebiete der klassischen Physik wird durch eine mengenartige Größe charakterisiert. Die Mechanik ist der Teil der Physik, in dem es um den Impuls und dessen Ströme geht. Die Elektrizitätslehre beschäftigt sich mit der elektrischen Ladung und mit elektrischen Strömen. Entsprechend kann man auch die reine Wärmelehre definieren als den Teil der Physik, in dem es um die Entropie und um Entropieströme geht. Die Stoffmenge und deren Ströme gehören in die Chemie. Die Energie ist eine Größe, die für keines dieser Gebiete charakteristisch ist. Sie ist in allen Teilgebieten der Physik gleichermaßen wichtig. Es ist eine Erfahrung, dass ein Energiestrom stets mit dem Strom einer anderen mengenartigen Größe verknüpft ist. Die Stromstärke der Energie ist dabei zur Stromstärke der anderen Größe proportional. Es gilt also allgemein: P µ IX Konkrete Beispiele für diese Beziehung sind P µ F, die den Energietransport etwa durch einen Treibriemen beschreibt, oder P µ I, die für elektrische Energietransporte gilt. Man definiert über diese Proportionalitäten die so genannten energiekonjugierten intensiven Größen: So ist die elektrische Potentialdifferenz U definiert über P=U·I (1.2) und die Geschwindigkeit kann man definieren über P = v · F. (1.3) Wir werden sehen, dass für thermische Energietranspor te die Beziehung P µ IS gilt, und dass man die Temperatur T definiert über P = T · IS . (1.4) Entsprechend ist für chemische Energietransporte P µ In , und man definiert das chemische Potential m über P = m · In . (1.5) 9 Die einheitliche Form der Gleichungen (1.2) bis (1.5) zeigt, dass wir eine Analogie vor uns haben. Die angesprochenen Teilgebiete der Physik haben eine gemeinsame Struktur. Die Analogie besteht darin, dass man bestimmte physikalische Größen aufeinander abbildet. Aus einer Relation, die in einem der Teilgebiete gilt, erhält man eine Relation in einem anderen Teilgebiet, indem man die einander entsprechenden Größen einfach ersetzt. Energie, Energiestromstärke, Ort und Zeit werden dabei nicht mitübersetzt, oder in anderen Worten, sie gehen in sich selbst über. In der zweiten und dritten Spalte von Tabelle 1.1 sind die mengenartigen bzw. intensiven Größen aufgeführt, die gegeneinander ersetzt werden. Die fünfte Spalte zeigt als Beispiel eine Beziehung in ihren verschiedenen analogen Varianten. Die durch die Gleichungen (1.2) bis (1.5) definierten intensiven Größen spielen eine wichtige Rolle bei Strömungen, die mit “Reibung” in einem allgemeineren Sinn, oder Dissipation, verbunden sind. Solche Vorgänge sind – die mechanische Reibung; – die “elektrische Reibung”, d.h. der Prozess, der abläuft wenn ein elektrischer Strom durch einen Widerstand fließt; – der Vorgang bei dem Entropie durch einen Wärmewiderstand fließt; – Diffusion und chemische Reaktionen, die spontan ablaufen. Für alle diese Strömungen gilt, dass die mengenartige Größe vom hohen zum niedrigen Wert der entsprechenden intensiven Größe fließt. So fließt bei mechanischen Reibungsvorgängen Impuls stets vom Körper mit der höheren zum Körper mit der niedrigeren Geschwindigkeit. In elektrischen Widerständen fließt die elektrische Ladung stets vom hohen zum niedrigen elektrischen Potential. Entropie fließt von Stellen hoher zu Stellen niedriger Temperatur. Stoffe schließlich diffundieren immer von Stellen hohen zu Stellen niedrigen chemischen Potentials. Außerdem laufen chemische Reaktionen spontan immer in die Richtung abnehmenden chemischen Potentials. Wenn man irgendeinen dieser Prozesse in die entgegengesetzte Richtung laufen lassen möchte, muss man Energie aufwenden. Um Impuls von einem Körper niedriger auf einen Körper hoher Geschwindigkeit zu befördern, kann man einen Motor benutzen. Elektrizität bringt man vom niedrigen auf das hohe Potential mit Hilfe einer Batterie oder eines Generators. Entropie pumpt man mit einer Wärmepumpe von der niedrigen zur hohen Temperatur. Und eine chemische Reaktion treibt man in die dem spontanen Antrieb entgegengesetzte Richtung etwa in einer Elektrolysezelle. Tabelle 1.1. Zuordnung physikalischer Größen zu Teilgebieten der Physik und zur Chemie · IX Extensive Größe Intensive Größe Stromstärke P=x Mechanik Impuls p Geschwindigkeit v Kraft F P=v·F Elektrizitätslehre elektrische Ladung Q elektrisches Potential j elektrische Stromstärke I P=U·I Wärmelehre Entropie S Temperatur T Entropiestromstärke IS P = T · IS Chemie Stoffmenge n chemisches Potential m Stoffstromstärke In P = m · In 10 Wir sind nun in der Lage zu sagen, um was es in der Thermodynamik geht. Die Thermodynamik ist mehr als nur reine Wärmelehre. Es geht also um mehr als nur die Zusammenhänge zwischen Entropie und Temperatur. Die Thermodynamik befasst sich mit dem Zusammenspiel von thermischen, chemischen und mechanischen Vorgängen. Die Größen, mit denen wir es zu tun haben werden, sind daher neben der allgegenwärtige n Energie die thermischen Größen Entropie und Temperatur und die chemischen Größen Stoffmenge und chemisches Potential. Die Mechanik tritt in der Thermodynamik meist nicht mit ihren Größen Impuls und Geschwindigkei t auf, sondern mit den Stellvertretern Druck und Volumen. 11 2. Entropie und Temperatur 2.1 Die Entropie als Wärmemaß Die Entropie S ist eine Größe, für die Nichtphysiker eine sehr gute Anschauung haben und mit der sie intuitiv richtig operieren. Es gibt wahrscheinlich keine andere Größe, bei der der physikalische Begriff mit einem umgangssprachlichen Begriff so gut übereinstimmt: Die meisten umgangssprachlichen Aussagen, in denen das Wort “Wärme” oder “Wärmemenge” vorkommt, bleiben physikalisch korrekt, wenn man diese Wörter durch das Wort “Entropie” ersetzt. Das Wort “Wärme” hat allerdings heute in der Physik eine andere Bedeutung, nämlich Wärme = TdS, und diese stimmt mit der umgangssprachlichen Bedeutung schlecht überein. Wir werden daher das Wort Wärme nicht in diesem Sinn benutzen. Im Folgenden sind einige Sätze wiedergegeben, in denen der umgangssprachliche Wärmebegriff vorkommt. Diese Sätze bleiben richtig, wenn man das Wort Wärme durch das Wort Entropie ersetzt. Wir bekommen auf diese Weise ein qualitatives Verständnis für den Entropiebegriff: Hält man einen Gegenstand, z.B. ein Stück Eisen, über eine Gasflamme, so wird er wärmer, seine Temperatur steigt. In den Gegenstand strömt Wärme (= Entropie) hinein. Je mehr Wärme man in das Eisenstück hineinfließen lässt, desto höher wird seine Temperatur. Nimmt man den Gegenstand von der Flamme weg und packt ihn in Styropor ein, so bleibt die Wärme (= Entropie) in ihm drin. Teilt man ihn in zwei gleich große Teile, so steckt in jedem Teil die Hälfte der Wärme (= Entropie), die im Gegenstand insgesamt enthalten war. Die Wärme (= Entropie) ist also mengenartig. Es gibt eine Wärmedichte (= Entropiedichte). Bringt man einen warmen Gegenstand in Kontakt mit einem kalten, so fließt Wärme (= Entropie) vom warmen zum kalten, d.h. vom Gegenstand höherer zu dem niedrigerer Temperatur. Die Wärme (= Entropie) fließt um so besser, je größer die Temperaturdiffe renz ist. Ob sie gut von einem warmen zu einem kalten Gegenstand fließt, hängt aber auch noch von der Art des Kontakts, der Verbindung, ab. Sind die Gegenstände durch Holz verbunden, so fließt die Wärme (= Entropie) schlechter als wenn sie durch ein Metall verbunden sind. Es gibt also gute und schlechte Wärmeleiter (= Entropieleiter). Hält man einmal einen Behälter mit Luft und einmal einen gleich großen Behälter mit Wasser über eine Flamme, so stellt man fest, dass sich die Luft schneller erwärmt, d.h. schneller eine bestimmte Temperatur erreicht als das Wasser. Man muss also in das Wasser mehr Wärme (= Entropie) hineinstecken, um diese Temperatur zu erreichen. Wasser hat eine größere Wärmekapazität (= Entropiekapazität) als Luft. Man kann einem “System” auch Wärme (= Entropie) zuführen, ohne dass es sich erwärmt. Lässt man kochendes Wasser auf der Flamme stehen, so fließt dauernd Wärme (= Entropie) in das Wasser hinein. Seine Temperatur erhöht sich nicht mehr, aber dafür wird ständig Wasser verdampft. Der Dampf muss also die Wärme (= Entropie) forttragen. Ein Gramm Dampf enthält also (viel) mehr Wärme (= Entropie) als ein Gramm flüssiges Wasser. Lässt man einen Gegenstand, den man vorher erwärmt hat, eine Weile stehen (ohne weiter zu heizen), so fließt die Wärme 12 (=!Entropie) aus ihm heraus, sie verteilt sich in der Umgebung. Dabei verdünnt sie sich so stark, dass man nicht mehr erkennt, wo sie sich genau befindet. Trotzdem ist sie irgendwo, sie ist nicht verschwunden im Sinn von “vernichtet”, sondern nur verschwunden im Sinn von “versteckt” oder “verstreut”. Man kann Wärme (= Entropie) nicht vernichten, aber man kann sie erzeugen, z.B. in einer Flamme, in einem elektrischen Widerstand oder durch “Reibung”. Um Wärme (= Entropie) zu erzeugen, braucht man Energie. Da wir an die Erhaltung der Energie glauben, schließen wir, dass mit der Wärme (= Entropie), die von einem elektrischen Widerstand wegfließt, auch Energie wegfließt. 2.2 Die Festlegung der Entropieskala Um eine physikalische Größe zu definieren, muss die Skala der Größe festgelegt werden. Eine solche Festlegung soll es gestatten, Werte der Größe zu bestimmen. Zur Festlegung einer Skala gehört 1. die Angabe der Einheit und 2. ein Vorschrift für die Konstruktion der Vielfachen der Einheit. Die Definition der Einheit ist im Wesentlichen ein technisches Problem. Die Festlegung der Vielfachen dagegen berührt die Substanz der Größe. Tatsächlich ist für viele Größen die Definition der Vielfachen ein delikates Problem. Es gibt Fälle, bei denen diese Definition im Laufe der Geschichte der Physik geändert wurde. Die Skala wurde im Laufe der Zeit also verzerrt, oder besser: entzerrt. Ein Beispiel hierfür ist die Temperaturskala. Wir wollen uns überlegen, wie man Einheit und Skala der Entropie festlegen könnte. Wir beginnen mit der Einheit. Die Maßeinheit der Entropie ist das Carnot, abgekürzt Ct. Wir wissen, dass man Entropie braucht, um Eis zu schmelzen. Mit 1 Ct schmilzt man bei Normaldruck gerade 0,893!cm 3 Eis. Man hätte also gesetzlich festlegen können: “1 Carnot ist diejenige Entropiemenge, mit der man bei Normaldruck 0,893 cm3 Eis schmilzt.” Tatsächlich hat man als gesetzliche Definition ein anderes Verfahren vorgezogen. Dieses Verfahren ist begrifflich etwas komplizierter, gestattet aber eine genauere Festlegung der Einheit. Wir kommen später darauf zurück. Nun zur Bildung von Vielfachen von Entropiewerten. Für mengenartige Größen ist die Bildung von Vielfachen trivial. Wenn ein System eine Einheit einer mengenartigen Größe enthält, so erhält man zwei Einheiten, indem man einfach ein gleiches System neben das erste setzt. Zu unterscheiden vom Verfahren zur Festlegung von Einheit und Vielfachen der Werte einer physikalischen Größe sind die praktischen Messverfahren. Um die Werte einer Größe praktisch zu bestimmen, braucht man ein Verfahren, das nicht zu umständlich ist. So könnte man Entropiemengen zwar im Prinzip dadurch messen, dass man Eis schmilzt und dessen Volumen misst. Nur ist dieses Verfahren sehr unpraktisch. Warum? Die zu messende Entropie befindet sich in irgendeinem System: einem Behälter oder einem Körper. Von diesem muss man sie in das zu schmelzende Eis übertragen. Es ist aber technisch sehr schwierig, Entropie von einem Körper auf einen anderen zu bringen, ohne dabei zusätzlich neue Entropie zu erzeu- 13 gen. Es ist besonders schwierig, wenn sich der Körper, von dem die Entropie entnommen wird, auf einer anderen Temperatur befindet als das Eis. Man muss dann die Entropie behutsam (mit Hilfe einer Wärmekraftmas chine oder einer Wärmepumpe) hinaufpumpen oder herunterlassen. Es gibt ein viel praktischeres Messverfahren für die Entropie. Dieses macht sich die Erzeugbarkeit der Entropie gerade zu nutze. Wir werden dieses Verfahren später kennen lernen.. 2. 3 En tr op ie und En er gi e, die Fe st le gu ng der Te mperaturskala Bevor wir uns der Definition der Temperaturskala zuwenden, müssen wir die Energie- und die Entropiebilanz einiger einfacher Geräte untersuchen. Abb. 2.1 zeigt einen Tauchsieder. Zunächst die Entropiebilanz: Aus dem Tauchsieder kommt Entropie heraus, es fließt aber keine Entropie hinein. Die Entropie wird im Tauchsieder erzeugt. Und die Energiebilanz: In den Tauchsieder fließt über das Kabel Energie hinein, und diese muss wieder herauskommen. Die einzige Möglichkeit hierfür ist, dass sie über die äußere Oberfläche zusammen mit der Entropie herauskommt. Man sagt auch, die Energie kommt mit dem Energieträger “elektrische Ladung” in den Tauchsieder hinein und mit dem Energieträger “Entropie” heraus. Wir schließen daraus, dass ein Entropiestrom von einem Energiestrom begleitet ist. Wir suchen nun den Zusammenhang zwischen Entropiestromst ärke IS und Energiestromstärke P. Da beide Größen Stromstärken mengenartiger Größen sind, muss der Zusammenhang lauten: P µ IS (2.1) (Man kann sich etwa vorstellen, man betreibt zwei Tauchsieder nebeneinander. Dann sind sowohl der Energie- als auch der Entropiestrom für beide zusammen doppelt so stark wie für einen allein.) Wir betrachten als nächstes Entropie- und Energiebilanz eines Wärmemotors, oder einer “Wärmekraftmaschine”. Abb. 2.2 zeigt das Flussbild eines Wärmemotors, Abb. 2.3 zeigt den Wärmemotor etwas realistischer. Wärmemotoren werden unter anderem in Kohle- und Kernkraftwerken eingesetzt. In die Maschine fließt Entropie auf hoher Temperatur hinein. Man beschafft sich diese Entropie durch Erzeugung: durch Verbrennung von Kohle oder durch Spaltung von Uran und Plutonium. Die Entropie wird von der Maschine im Dampferzeuger aufgenommen. Der Dampf entspannt sich in einer Turbine. Dabei wird er kälter. Im Kondensator kondensiert der Dampf, wobei er die ganze vorher aufgenommene Entropie auf niedriger Temperatur wieder abgibt. Diese Entropie wird gewöhnlich an das Wasser eines Flusses abgegeben, manchmal auch – in einem Kühlturm – an die Luft. Die Entropiestromstärke ist also am Eingang des Wärmemotors so groß wie am Ausgang. Wenn bei realen Maschinen, der Entropiestrom am Ausgang etwas stärker ist als am Eingang, so liegt das an Unvollkommenh eiten der Maschine, die man aber im Prinzip beliebig klein machen kann. Während die Entropie durch die Maschine fließt, gibt die Maschine über die Welle Energie ab. Diese Energie muss in die Maschine hineingekommen sein. Die einzige Möglichkeit hierfür ist, dass die herausfließende Entropie weniger Energie trägt als die hineinfließende. Die Differenz zwischen dem Energiestrom, der mit der Entropie hin- Abb. 2.1. Zur Energie- und Entropiebilanz eines Tauchsieders Abb. 2.2. Flussbild eines Wärmemotors Abb. 2.3. Der Wärmemotor eines Kraftwerks besteht aus Dampferzeuger, Turbine, Kondensator und Pumpe. 14 einfließt und dem, der mit der Entropie wieder herausfließt, verlässt die Maschine über die Welle. Hinein- und herausfließender Entropiestrom müssen sich also unterscheiden. Genauer: Der Proportionalitätsfaktor, der die Beziehung (2.1) zu einer Gleichung macht, muss für Ein- und Ausgang verschiedene Werte haben. Er muss von einer Größe abhängen, die an Eingang und Ausgang verschiedene Werte hat. Nun wissen wir, dass der Ausgang der Maschine kälter ist als der Eingang, dass die Temperatur des Ausgangs niedriger ist, als die des Eingangs, welches auch immer die Temperaturskala ist, die man zugrunde legt. Da wir die Temperaturskal a bisher noch nicht definiert haben, legen wir fest: Der Proportionalitätsfaktor, der (2.1) zu einer Gleichung macht, heißt Temperatur. Die Temperatur T wird also definiert als: P T= (2.2) IS Um T von der in ˚C gemessenen Temperatur zu unterscheiden, nennt man diese Größe auch absolute Temperatur. Die Definition (2.2) ist analog zu der der elektrischen Spannung. Tatsächlich wird die elektrische Spannung definiert als Quotient aus Energiestromstärke und elektrischer Stromstärke. (Diese Tatsache wird oft anders formuliert, etwa: Spannung gleich Energie pro Ladung. Solche Formulierungen sind aber zu unserer Version äquivalent.) Wir wollen Gleichung (2.2) noch in der Form schreiben, in der man sie sich gewöhnlich merkt: P = T · IS .(2.3) 2.4 Die Einheiten von Temperatur und Entropie Da die Skalen, und damit die Vielfachen, von Energie und Entropie festliegen, sind mit Gleichung (2.2) auch die Vielfachen der Temperatur festgelegt. Wir hatten aber die Festlegung der Entropieeinheit zunächst noch aufgeschoben. Wir können nun das Versäumte nachholen. Würde man die Entropieeinheit festlegen, so läge mit Gleichung (2.2) auch die Temperatureinh eit fest (denn über die Energieeinheit ist schon in der Mechanik verfügt worden). Tatsächlich verfährt man nun aber umgekehrt: Man legt gesetzlich die Temperatureinheit fest und definiert die Entropieeinheit, das Carnot, über Gleichung (2.2). Die Temperatureinheit ist folgendermaßen definiert: Die Temperatur von Wasser am “Tripelpunkt” beträgt 273,16 Kelvin. Der Tripelpunkt ist diejenige Temperatur, bei der festes, flüssiges und gasförmiges Wasser koexistieren. Er ist zur Festlegung der Einheit besonders geeignet, weil keine zusätzlichen Angaben über die Werte anderer Größen gemacht werden müssen. Es muss also nicht etwa gesagt werden: “bei dem und dem Druck”. Wenn Wasser sich am Tripelpunkt befindet, liegt der Druck zwangsläufig fest. Wir fassen noch einmal das etwas komplizierte Verfahren der Festlegung der Skalen von Entropie und Temperatur zusammen: Die Vielfachen der Entropie ergeben sich einfach aus der Mengenartigkeit der Größe, die Vielfachen von Temperaturwerten sind über Gleichung (2.2) definiert. Die Einheit der Temperatur ist über den Tripelpunkt des Wassers definiert. Daraus folgt die Entropieeinheit 15 über Gleichung (2.2). Es ist nämlich 1!Ct = 1 J/K. Noch eine Bemerkung zu dem “krummen” Wert bei der Definition der Temperatureinheit. Man hat diesen Wert gewählt, weil so eine Temperaturdiffe renz von 1 Kelvin mit dem früher gültigen ˚C (Grad Celsius) übereinstimmt. Für die Temperatur des Phasenübergang s zwischen festem und flüssigen Wasser bei Normaldruck (die Temperatur von schmelzendem Eis) ergibt sich 273,15!K. Für den Zusammenhang zwischen Celsiustemperatur J und absoluter Temperatur T gilt demnach T J = + 273, 15 K ˚C 2.5 Wärmemotor und Wärmepumpe Wir können nun die Energiebilanz des Wärmemotors machen. (Die Entropiebilanz ist trivial: Es fließt genauso viel hinein wie heraus.) Mit der auf der hohen Temperatur T 2 hineinfließenden Entropie (Stromstärke IS) fließt in die Maschine ein Energiestrom der Stärke P2 = T2 · IS hinein, und mit dem auf der niedrigen Temperatur T1 herausfließenden Entropie fließt aus der Maschine ein Energiestrom der Stärke P1 = T1 · IS heraus. Netto fließt damit in die Maschine ein Energiestrom der Stärke P = P2 – P1 = T2 · IS – T1 · IS also P = (T2 – T1) IS (2.4) hinein. Man sieht, dass die Funktionsweise des Wärmemotors der eines Wasserrads ähnlich ist, vergleiche Abb. 2.4 mit Abb. 2.2. Der Entropie entspricht beim Wasserrad das Wasser, oder genauer, die Masse m des Wassers, und was beim Wärmemotor die Temperatur ist, ist beim Wasserrad das Gravitationspotential g · h (g = Ortsfaktor, h = Höhe). Zum Wasserrad hin fließt ein Massenstrom auf großer Höhe, vom Wasserrad weg fließt ein Massenstrom derselben Stärke auf geringerer Höhe. Am Wasserrad geht die Masse von der großen auf die geringe Höhe herunter und gibt dabei Energie ab. Der Energiestrom hat die Stärke: P = P2 – P1 = g · h2 · Im - g · h1 · Im = g(h2 – h1) Im Nun zur Wärmepumpe. Die Wärmepumpe tut gerade das Umgekehrte von dem, was ein Wärmemotor macht: Sie befördert Entropie von niedriger Temperatur auf hohe Temperatur. Da die wegfließende Entropie auf der hohen Temperatur mehr Energie trägt als die auf der niedrigen Temperatur hinfließende, braucht die Wärmepumpe eine Energieversorgung. Die Energie, die sie zum Pumpen braucht, ist wieder durch die Gleichung P = (T2 – T1) IS gegeben. Abb. 2.4. Flussbild eines Wasserrades 16 In Analogie hierzu existiert auch zum Wasserrad eine Umkehrung: die Wasserpumpe. Und deren Energiebedarf wird durch die Gleichung P = g(h2 – h1) Im beschrieben. Abb. 2.5 zeigt die Flussbilder einer elektrischen Wärmepumpe und einer elektrischen Wasserpumpe 2.6 Entropieerzeugung!– reversible und irreversible Prozesse Abb. 2.5. Flussbilder einer elektrischen Wärmepumpe und einer elektrischen Wasserpumpe Abb . 2.6. Flu ssb ild des elek tris chen Wid ers tand es Abb. 2.7. Zur Impuls- und Entropiebilanz bei einem Reibungsvorgang Fließt Elektrizität durch einen elektrischen Widerstand – vom hohen zum niedrigen elektrischen Potential –, so wird der Widerstand warm, es wird Entropie erzeugt, Abb. 2.6. (Siehe auch Abb. 2.1.) Die zum Widerstand hinfließende Energie muss gleich sein der wegfließenden. Es muss also gelten: (j2 – j1) · I = T · IS erz (2.5) Hier ist j das elektrische Potential, I die elektrische Stromstärke und IS erz die pro Zeit erzeugte Entropie. Wir lesen die Gleichung folgendermaßen : Zum Widerstand fließt Energie hin mit dem Energieträger elektrische Ladung und vom Widerstand weg fließt Energie mit dem Energieträger Entropie. Die Entropie, mit der die Energie den Widerstand verlässt, wurde im Widerstand erzeugt. Wenn U = j2 - j 1, I und T bekannt sind, lässt sich die erzeugte Entropie leicht berechnen: IS erz = U · I/T Es ist eine wichtige Erfahrung, dass Entropie nicht vernichtet werden kann. Daraus folgt, dass Prozesse, bei denen Entropie erzeugt wird, nicht rückwärts ablaufen können, sie sind irreversibel. Gleichung (2.3) sagt uns, dass zur Entropieerzeugung Energie gebraucht wird. Man sagt, die zur Entropieerzeugung verbrauchte Energie werde dissipiert . Vorgänge, bei denen Entropie erzeugt wird, heißen dissipative Prozesse. Es gibt einige dissipative Standardprozess e, die bestimmte Gemeinsamkeiten haben. Einer davon ist der gerade diskutierte Prozess, bei dem ein elektrischer Strom durch einen elektrischen Widerstand fließt. Ein anderer solcher Standardprozess ist die mechanische Reibung, Abb. 2.7: Es wird Entropie erzeugt, während Impuls von einem Körper auf einen anderen über einen “Impulswidersta nd” fließt, d.h. über die Berührungsfläche zwischen den beiden Körpern. Der Impuls fließt von dem Körper mit der höheren Geschwindigkeit v 2 zum Körper mit der niedrigeren Geschwindigkeit v1. Der Energiestrom, der zur Aufrechterhaltung des Vorgangs nötig ist, hat die Stärke P = (v2 – v1) · F, die Energiebilanz lautet also: D v · F = T · IS erz . In Abb. 2.8 ist das Flussbild des Reibungsvorgangs dargestellt. Abb. 2.9 zeigt einen dritten dissipativen Prozess. Hier fließt in einer 17 Rutschkupplung Drehimpuls von der Welle mit der höheren zur Welle mit der niedrigeren Winkelgeschwindigkeit. Die Energiebilanz lautet: D w · M = T · IS erz . (w ist die Winkelgeschwindigkeit und M das Drehmoment oder die Drehimpulsstromstärke). Das Flussbild zeigt Abb. 2.10. Einen Prozesstyp, den wir erst im nächsten Kapitel betrachten, stellen frei ablaufende chemische Reaktionen dar. Auch hier wird Entropie erzeugt, und auch hierfür lässt sich eine Energiebilanzgleichung formulieren, die dieselbe Form hat, wie die des elektrischen Widerstandes: D m · In = T · IS erz . Hier ist m das chemische Potential und In der Stoffumsatz (gemessen in mol/s). D m ist die Differenz der chemischen Potentiale von Edukten und Produkten. Alle Prozesse, die wir hier diskutiert haben, haben gemeinsam, dass eine mengenartige Größe über eine Art Widerstand von einer Stelle zu einer anderen fließt. Die entsprechende intensive Größe – elektrisches Potential, Geschwindigkeit, Winkelgeschwindigkeit, chemisches Potential – hat an der ersten Stelle einen höheren Wert als an der zweiten. Die mengenartige Größe fließt also vom hohen Wert der intensiven Größe zum niedrigen. Wir betrachten schließlich noch einen dissipativen Prozess, der eine Besonderheit hat. Durch einen Wärmewidersta nd, dessen Enden sich auf den unterschiedlichen Temperaturen T 2 und T 1 befinden, fließt ein Entropiestrom vom Ende mit der hohen Temperatur T2 zum Ende mit der niedrigen Temperatur T1, Abb. 2.11. Auch hierbei wird Entropie erzeugt. Das bedeutet, dass am kalten Ende mehr Entropie ankommen muss, als am warmen Ende in den Wärmewiderstand hineingeflossen ist. Man kann die Energiebilanz zunächst so formulieren: T2 · IS2 = T1 · IS1, (2.6) denn die Stromstärken des hinein- und des herausfließenden Energiestroms müssen gleich sein. Man sieht an dieser Gleichung sofort, dass die Entropiestromstärke IS1 größer sein muss als IS2. Da sich der herausfließende Entropiestrom aus dem hineinfließenden Strom und der im Widerstand pro Zeit erzeugten Entropie zusammensetzt, lässt sich IS1 schreiben IS1 = IS2 + IS erz , Dies in (2.6) eingesetzt ergibt (T2 – T1) · IS2 = T1 · IS erz . Lassen wir nun bei der Stärke des hineinfließenden Entropiestroms den Index “2” weg, so erhalten wir (T2 – T1) · IS = T1 · IS erz , (2.7) d.h. wieder eine Gleichung des Typs von Gleichung (2.5). Der Vorgang, den Gleichung (2.7) beschreibt, könnte man thermische Reibung nennen. Die Besonderheit des Prozesses besteht darin, dass hier die strömende Größe von derselben Natur ist wie die erzeugte. Abb. 2.8. Flussbild eines Reibungsvorgangs Abb . 2.9. Zur Drehimpuls- und Entr opiebilan z bei einer Rutschkupplung Abb. 2.10. Flussbild der Rutschkupplung Abb. 2.11. Entropiebilanz eines Wärmeleiters 18 2.7 Der Wirkungsgrad Viele Geräte und Maschinen dienen dem Zweck, Energie von einem Energieträger auf einen anderen “umzuladen”. Der Elektromotor bekommt Energie mit dem Energieträger elektrische Ladung und gibt sie ab mit dem Energieträger Drehimpuls. In eine elektrische Wärmepumpe fließt die Energie mit der Elektrizität hinein, und sie verlässt die Maschine mit der Entropie. Man nennt diese Geräte, etwas unzutreffend, Energiewandler. Tatsächlich wird in ihnen gar nichts verwandelt. Die Energie wechselt lediglich ihren Begleiter. Wir ziehen daher den Namen “Energieumlade r” vor. Wir sagen, die Energie werde von einem auf einen anderen Träger umgeladen. Jeder Energieumlader hat Verluste. Die Ursache von Verlusten ist stets Entropieerzeugung. Ein Teil der ankommenden Energie wird dazu verbraucht, oder verschwendet, Entropie zu erzeugen. Nach Gleichung (2.3) wird zur Entropieerzeugung Energie gebraucht. Der Transport irgendeiner mengenartigen Größe ist im Allgemeinen auch mit Entropieerzeugung verbunden. Auch hierfür wird Energie gebraucht, und auch diese ist als Verlust zu verbuchen. Energie geht also immer verloren, wenn Entropie erzeugt wird. Die Devise “Spare Energie” kann man also ersetzen durch “Vermeide Entropieerzeugung”. Tatsächlich lässt sich jede Aufgabe, bei deren Erledigung Entropie erzeugt wird, auch durch einen Prozess lösen, der ohne Entropieerzeugung abläuft. Das bedeutet, dass es keinen physikalischen Grund dafür gibt, dass wir überhaupt Energie verbrauchen. Im Prinzip könnten alle Produktions- und Transportleistun gen ohne Energieaufwand bewältigt werden. Es ist technisch wichtig, ein Gerät, eine Maschine, eine Transportvorrichtung daraufhin zu beurteilen, ob viel Energie verschwendet wird. Wir definieren daher einen Wirkungsgrad h der entsprechenden Vorrichtung. Zur Definition des Wirkungsgrades vergleicht man die zu beurteilende Maschine mit einer anderen Maschine, die dasselbe leistet, dabei aber keine Entropie erzeugt, also mit einer perfekten, idealen Maschine. Bei gleicher Leistung, worin diese auch bestehen mag, sei der Energieverbrauch der realen Maschine P real und der der idealen Maschine Pideal. Als Wirkungsgrad definieren wir h= Pideal Preal (2.8) Die Definition ist so beschaffen, dass sich für jedes Gerät, in dem keine Entropie erzeugt wird, der Wirkungsgrad h = 1 ergibt. Wir wollen den Wirkungsgrad eines notorischen Energieverschw enders, der Elektroheizung, berechnen. Die Leistung, die die Heizung erbringen soll, ist ein bestimmter Entropiestrom IS auf einer bestimmten Temperatur T 2. Falls die Heizung zum Heizen eines Hauses verwendet wird, ist IS die Stärke des Entropiestroms, der das Haus durch die Wärmelecks verlässt. T 2 ist die Temperatur im Innern des Hauses. Die reale Elektroheizung braucht hierfür einen Energiestrom von Preal = T2 · IS 19 Eine reversibel arbeitende Maschine zur Heizung des Hauses wäre eine Wärmepumpe, die die benötigte Entropie von außerhalb des Hauses ins Haus hineinpumpt. Wir nennen die Außentemperatu r T1. Der Energieverbrauch der Wärmepumpe ist (siehe Abschnitt 2.5) Pideal = (T2 - T1) IS. Für den Wirkungsgrad (2.8) der Elektroheizung ergibt sich damit: h= Pideal (T2 - T1 ) IS T2 - T1 = = Preal T2 ⋅ I S T2 Es ist interessant, dass sich der Wirkungsgrad allein durch zwei Temperaturen ausdrücken lässt. Die Tatsache, dass es sich um eine Widerstandsheizun g bzw. eine Wärmepumpe handelt, kommt in der Beziehung gar nicht mehr zum Ausdruck. Tatsächlich ergibt sich dieselbe Gleichung für jede andere Heizung, bei der die ganze benötigte Entropie durch Erzeugung gewonnen wird. Wegen seiner universellen Bedeutung hat dieser Ausdruck einen eigenen Namen bekommen. Man nennt den Ausdruck h= T2 - T1 T2 Abb . 2.12 . Zw isch en den beid en Kör pern stel lt sich thermisches Gleichgewicht ein. (2.9) den Carnot-Faktor. Abb . 2.13 . Zw isch en den beid en Kör pern stel lt sich Impulsgleichgewicht ein. 2.8 Das thermische Gleichgewicht Wenn Entropie über einen Wärmeleiter von einem Körper A höherer Temperatur in einen Körper B niedrigerer Temperatur fließt, so nimmt die Temperatur T A ab und die Temperatur TB zu, Abb. 2.12: Die beiden Temperaturen gleichen sich an. Schließlich wird TA = TB. Wenn dieser Zustand erreicht ist, ist kein Antrieb für den Entropiestrom mehr vorhanden, die Entropie hört auf zu fließen. Man nennt diesen Zustand thermisches Gleichgewicht. Er ist analog zu anderen Gleichgewichtsz uständen. Impulsgleichgewicht stellt sich ein, wenn zwei aneinander reibende Körper A und B dieselbe Geschwindigkeit erreichen, Abb. 2.13, d.h. wenn vA = vB. Elektrisches Gleichgewicht stellt sich ein zwischen zwei Kondensatoren, die über einen Widerstand miteinander verbunden sind, Abb. 2.14. Im elektrischen Gleichgewicht ist UA = UB. Abb. 2.14. Zwischen den beiden Kondensatoren stellt sich elektrisches Gleichgewicht ein. 20 2.9 Die Messung von Temperatur und Entropie Abb. 2.15. Um wieviel Carnot unterscheidet sich der Entropieinhalt? a b Abb. 2.16. (a) Messung von elektrischer Ladung. Die zu messende Ladung wird auf das geeichte Elektrometer übertragen. (b) Messung von Entropie. Die zu messende Entropie wird wird auf das geeichte Entropiemessgerät übertragen. 2.9.1 Die Messung der Temperatur Zur Messung der Temperatur eignen sich diejenigen Effekte, bei denen mechanische, elektrische oder optische Größen von der Temperatur abhängen, z.B. – die thermische Ausdehnung eines Festkörpers: Bimetallstreifen (Verwendung in Thermostaten); – die thermische Ausdehnung einer Flüssigkeit: Quecksilberthermometer; – die thermische Ausdehnung von Gasen: Gasthermometer; – der thermoelektrische Effekt: ein Entropiestrom ist an einen Strom geladener Teilchen gekoppelt; bei offenem Stromkreis kann der Teilchenstrom nicht fließen, und eine Temperaturdiffe renz verursacht eine Differenz des elektrochemisch en Potentials (siehe S. 30 im Skriptum zur Physik II); – der elektrische Widerstand eines Materials ist temperaturabhängig: bei Metallen nimmt der Widerstand mit T zu, bei Halbleitern ab; – jeder Körper gibt elektromagnetis che Strahlung ab; das Spektrum der Strahlung ist von der Temperatur abhängig: Strahlungspyrometer; – Manche Stoffe ändern beim Überschreiten einer bestimmten Temperatur ihre Farbe. Bei den meisten Temperaturmessverfahren wird das Messinstrument mit dem System Y, dessen Temperatur bestimmt werden soll, ins thermische Gleichgewicht gebracht: Durch eine entropieleitende Verbindung ermöglicht man einen Entropiefluss von Y zum Messgerät. Die Entropie fließt solange, bis Messinstrument und System Y dieselbe Temperatur haben. Die Entropiekapazität des Messinstruments muss klein sein gegen die von Y. Außerdem soll das Messinstrument kein thermisches Leck haben, sonst kommt der Entropiefluss zwischen Y und Messinstrument nie zum Stillstand. Analoge Bemerkungen gelten für die Messung anderer intensiver Größen. 2.9.2 Die Messung der Entropie Dass Entropie erzeugt werden kann, erschwert ihre Messung, wenn man Verfahren anwendet, die analog sind zu Verfahren, die man zur Messung von Erhaltungsgröße n, etwa der elektrischen Ladung, einsetzt. Im Grunde erleichtert es aber die Messung, da man Methoden verwenden kann, die bei Erhaltungsgrößen nicht möglich sind. Wir nehmen im Folgenden an, dass wir nicht die gesamte in einem System enthaltene Entropie messen wollen, sondern nur den Betrag, um den sich der Entropieinhalt des Systems in zwei gegebenen Zuständen unterscheidet. Die Messaufgabe laute also z.B.: Wie viel mehr Entropie enthält eine bestimmte Flüssigkeitsmen ge X bei 80˚C als bei 20°C, Abb. 2.15? Verfahren ohne Entropieerzeugung Wir orientieren uns an der Messung von elektrischer Ladung. Man leitet die zu messende Ladungsmenge auf ein Elektrometer, Abb. 2.16a. Das Elektrometer ist geeicht, d.h. der Zusammenhang zwi- 21 schen Ausschlag und Ladung ist bekannt. Entsprechend kann man eine zu messende Entropiemenge in einen mit Wasser gefüllten Behälter leiten, Abb. 2.16b. Das Wasser dehnt sich aus. Das Steigrohr ist geeicht, d.h. der Zusammenhang zwischen Steighöhe und Entropieinhalt des Wassers ist bekannt. Das Verfahren ist aber sehr unpraktisch, denn im Allgemeinen befindet sich die Entropie, die man messen möchte, in einem System, dessen Temperatur einen anderen Wert hat als die des geeichten Wasserbehälters. Befindet sich das System auf einer höheren Temperatur als das Messgerät, so kann man zwar die zu messende Entropiemenge mit einem Wärmeleiter übertragen. Dabei wird aber zusätzliche Entropie erzeugt, und das Messgerät zeigt zu viel an. Befindet sich das System auf niedrigerer Temperatur als das Messgerät, so fließt die Entropie gar nicht in das Messgerät hinein. Man muss also in jedem Fall zwischen System und Messgerät eine Wärmepumpe oder einen Wärmemotor einbauen, so dass die Entropie auf die Temperatur des Messgeräts gebracht wird. Dieses Verfahren ist so unpraktisch und ungenau, dass man es nicht anwendet. Verfahren mit Entropieerzeugung Mit diesem Verfahren kann man nicht die Menge von bereits vorhandener Entropie bestimmen. Stattdessen transportiert man die Entropie, deren Wert man bestimmen will, in die Umgebung und erzeugt dann den gleichen Betrag neu. In unserem konkreten Fall werden wir aus unserer Flüssigkeit X, die sich auf 80!˚C befindet, zunächst die ganze zu messende Entropie wegfließen lassen: Wir kühlen die Flüssigkeit auf 20!˚C ab, Abb. 2.17a. Dann erzeugen wir die Entropie neu und messen dabei den zufließenden Energiestrom und die Temperatur, Abb. 2.17b. Die Stärke P des Energiestroms und die Stärke Is des Entropiestroms, die aus dem Heizwiderstand herausfließen, sind verknüpft über P = T · IS . Die Temperatur ist (dank dem Rührwerk) überall in der Flüssigkeit dieselbe. Es wird solange Energie zugeführt, bis die Temperatur von (273,15 + 20)!K auf (273,15 + 80)!K angestiegen ist. Die dabei zugeführte, im Heizwiderstand erzeugte Entropie ist t ( 80˚C ) S= Ú t (80 ˚C ) I S (t )dt = t ( 20˚C ) P( t ) dt t (20 ˚C ) T ( t ) Ú 2.10 Der erste und der zweite Hauptsatz Aussagen darüber, ob eine mengenartige physikalische Größe erhalten ist oder nicht, wurden historisch häufig als wichtige physikalische Gesetze, wenn nicht sogar als die wichtigsten, aufgefasst. Das äußert sich darin, dass diese Sätze oft einen eigenen, manchmal recht prätentiöse Namen haben. Newtonsche Axiome: Impuls kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Erster Hauptsatz: Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Zweiter Hauptsatz: Entropie kann zwar erzeugt, aber nicht vernichtet werden. a b Abb . 2.17 . Ma n läss t die zu mes sen de Entr opie aus dem System herausfließen (a) und erzeugt dann denselben Betrag neu (b). 22 Diese Namen deuten darauf hin, dass die Entdeckung des jeweiligen Satzes sehr mühsam war. Der Grund für diese Schwierigkeit ist wahrscheinlich, dass die Mengenartigkeit dieser Größen zunächst nicht erkannt wurde. So trägt der Satz von der Erhaltung der elektrischen Ladung z.B. keinen eigenen Namen, da man zuerst die Mengenartigkeit der Ladung (= Elektrizität) erkannte, und kurz darauf die Erhaltung entdeckte (Franklin 1747). Ähnlich steht es mit der Stoffmenge. Ihre Mengenartigkeit war von Anfang an klar, und ihre Nichterhaltung war so offensichtlich, dass man kein Bedürfnis verspürte, sie in einem gesonderten Lehrsatz zum Ausdruck zu bringen. 2.11 Entropieinhalt am absoluten Nullpunkt Versucht man, mit einer sehr guten Wärmepumpe einem Körper immer mehr Entropie zu entziehen, so stellt man zweierlei fest: – Man kommt der Temperatur 0!K beliebig nahe, kann sie aber nicht unterschreiten. – Bei dieser Temperatur fördert die Pumpe keine Entropie mehr. Man schließt daraus, dass, in dem Maße wie man sich der Temperatur 0!K nähert, der Entropieinhalt gegen Null geht. Es gilt also: TÆ 0 genau dann, wenn SÆ 0. In Worten: Absolut kalte Körper enthalten keine Entropie. Es gibt aber Fälle, in denen dieser Satz scheinbar verletzt ist. Kühlt man flüssige Gläser schnell ab, so geben sie weniger Entropie ab, als wenn man sie langsam abkühlt. Beim schnellen Abkühlen scheint Entropie eingefroren oder eingeschlossen zu werden. Wir werden diesen Vorgang später so erklären: das Glas lässt sich in Teilsysteme zerlegen, und eins dieser Teilsysteme kommt bei zu schnellem Abkühlen nicht ins thermische Gleichgewicht mit dem Rest. Obwohl ein Thermometer anzeigt, dass T Æ 0 geht, nehmen sowohl S als auch T dieses Teilsystems nicht mehr ab. Das Gesamtsystem hat also zwei voneinander verschiedene Temperaturen. Man kann die Erscheinung auch so beschreiben: Die Entropie ist unbeweglich geworden, ähnlich wie es auch unbewegliche elektrische Ladung gibt. 2.12 Die Entropiekapazität Ob ein System viel oder wenig Entropie enthält, erkennt man an verschiedenen Eigenschaften, genauer, an den Werten verschiedener anderer physikalischer Größen. Insbesondere wächst der Entropieinhalt mit zunehmender Temperatur. Wir nennen die Entropiezunahm e pro Temperaturzunahme die Entropiekapazität Cs eines Systems: CS = DS DT Diese Größe ist gebildet in Analogie zur elektrischen Kapazität CQ = Q U und zur Masse, die man auch als Impulskapazität interpretieren kann Cp ≡ m = p v 23 Im Unterschied zu CQ und Cp definiert man allerdings CS nicht als Quotienten, sondern als Differentialquotienten aus extensiver und intensiver Größe. Wir wenden uns nun einem Problem zu, das einem normalerweise nur bei der Entropiekapazit ät begegnet. Die Entropie eines Systems hängt selbstverständlich nicht nur von T ab, sondern auch noch von anderen unabhängigen Variablen, z.B. vom Volumen V und der Stoffmenge n. Es ist also: S = S(T, V, n). Man kann aber bei demselben System andere unabhängige Variablen wählen, z.B. T , p und n . S ist eine andere Funktion dieser Variablen T, p und n. Will man nun – rechnerisch oder experimentell – die Entropiekapazit ät bestimmen, das heißt, fragt man nach der Änderung des Entropieinhalts bei einer Temperaturerhöhung, so muss man entscheiden, was mit den anderen Variablen bei diesem Prozess geschehen soll. Es wird einem am natürlichsten erscheinen, während der Temperaturerhöhung Volumen und Stoffmenge unverändert zu lassen. Die Entropiekapazität, die man so bestimmt, ist ∂S ( T ,V , n) ∂T Um zu betonen, dass das Volumen konstant ist, bezeichnen wir diese Größe mit C SV. Dass auch n konstant gehalten wird, ist eine stillschweigende Vereinbarung und wird in dem Symbol nicht zum Ausdruck gebracht. Es ist also ∂ S(T , V, n ) ∂T Manchmal ist auch eine Entropiekapazität nützlich, die man durch Temperaturänderung bei konstantem Druck bestimmt: CS V = ∂S (T, p , n) ∂T Wir betonen, dass es sich bei S (T,V,n) und S (T,p,n) um unterschiedliche Funktionen handelt. Bei der elektrischen Kapazität könnte man ganz analoge Unterscheidungen treffen. Abb. 2.18 zeigt einen “Kondensator” der aus zwei Kugeln besteht. Wir können die Ladung Q wahlweise schreiben als Funktion der Variablen U und x (Abstand Kugeln): Q !=!Q(U, x) oder als Funktion von U und F (Impulsstrom von einer zur anderen Kugel): Q!=!Q(U, F). Entsprechend kann man zwei Kapazitäten bilden CS p = ∂ Q(U, x) ∂ Q( U, F) und CQ F = ∂U ∂U Um CQF zu messen, muss man beim Laden des Kondensators den Abstand x so vergrößern, dass F konstant bleibt. Dieser Fall hat aber kein praktisches Interesse. Wenn man von der (elektrischen) Kapazität einer Anordnung spricht, meint man immer, dass die Geometrie der Anordnung beim Ändern der Spannung erhalten bleibt. In der Thermodynamik verwendet man gern stoffmengenbezogene Größen. Wir kennzeichnen sie durch ein “Dach” über dem GrößenCQ x = Abb. 2.18. Man kann beim Laden des Kondensators entw eder den Abs tand oder die Kra ft kons tant halten. 24 Stoff cSp (Ct · mol-1 · K-1) cSV (Ct · mol-1 · K-1) Kalium 0,099 Eisen 0,087 Silber 0,086 Blei 0,091 Wasser 0,256 Benzol 0,450 Helium 0,077 0,046 Luft 0,107 0,076 Wasserstoff 0,104 0,074 CO2 0,101 0,092 ¸ Ô Ô Ô Ô ˝ bei 20 ˚C Ô Ô Ô Ô ˛ ¸ Ô Ô ˝ bei 0 ˚C Ô Ô˛ Tabelle 2.1. Molare Entropiekapazitäten symbol. Für homogene Systeme hängt eine mengenbezogen e Größe nur von intensiven und anderen mengenbezogen en Größen ab. Daher ist die Entropie pro Menge: Sˆ = Sˆ (T , Vˆ) oder Sˆ = Sˆ (T, p ) Eine dritte Variable taucht nicht mehr auf, denn die Menge pro Menge ist gleich 1. Wir definieren also Entropiekapazitäten pro Stoffmenge cS V = CS V 1 ∂ S(T , V, n ) ∂Sˆ( T , Vˆ ) = = n n ∂T ∂T (2.10) CS p 1 ∂S ( T , p, n ) ∂Sˆ ( T , p ) (2.11) = = n n ∂T ∂T Die Werte von cS und cSV sind für einige Stoffe in Tabelle 2.1 wiedergegeben. Diese molaren Entropiekapazitäten hängen nicht von der Größe des Ausschnitts aus einem System ab, den man betrachtet, sondern nur noch von lokalen Größen: intensiven Größen und stoffmengenbezogen en (=!molaren) Größen. Auf ihre Temperaturabhä ngigkeit kommen wir später zu sprechen. Statt der Entropiekapazitäten wird in Tabellen gewöhnlich das Produkt c S · T angegeben, das, von der Dimension her, eine Energiekapazität darstellt. Man nennt diesen Ausdruck molare Wärmekapazität und bezeichnet ihn mit cV bzw. cp, also cV = cSV · T und cp = cSp · T cS p = 400 T (K) 300 200 100 S (Ct) 0 0 20 40 60 Abb . 2.19 . Tem pera tur über der Entropie für 100 !g Kupfer Achtung: Es ist falsch zu sagen, ein System enthalte Wärme, wenn man das Wort Wärme im traditionellen Sinn benutzt, denn TdS ist keine mengenartige Größe. Daher ist die Bezeichnung Wärmekapazität etwas irreführend. Abb. 2.19 zeigt den Verlauf der Temperatur über der Entropie für Kupfer. Er ist typisch für alle Stoffe, solange kein Phasenübergang stattfindet. 25 Stoff sS(Ct · K-1 · s-1 · m-1) l(J · K-1 · s-1 · m-1) Silber 1,54 420 Kupfer 1,43 390 Eisen 0,29 79 Blei 0,132 36 Glas 0,003 7 1,0 Wasser 0,000 9 0,25 Ethylalkohol 0,000 66 0,18 Styropor 0,000 13 0,035 Luft 0,000 088 0,025 Tabelle 2.2. Entropie- und Wärmeleitfähigkeit 2.13 Die Entropieleitfähigkeit Fließt Entropie durch ein materielles Medium, so wird Energie dissipiert, es wird (zusätzliche) Entropie erzeugt, Abb. 2.20. Damit die Entropie überhaupt fließt, ist ein Temperaturgefälle notwendig. Das Temperaturgefälle kann als Antrieb des Entropiestroms interpretiert werden. Wir betrachten einen Abschnitt eines Wärmeleiters, der so kurz ist, dass die in diesem Abschnitt erzeugte Entropie hinreichend klein ist gegen die durch ihn hindurchfließen de, Abb. 2.16. Die Erfahrung zeigt, dass IS µ T2 - T1 Dx Differentiell geschrieben lautet die Beziehung IS µ grad T. IS hängt selbstverständlich von der Querschnittsfläche A des Wärmeleiters und vom Material ab. Wir schreiben daher IS = sS · A · |grad T | und nennen ss die Entropieleitfähigkeit. Die Entropiestromdichte wird hiermit jS = – sS · grad T (2.12) In Tabellen wird gewöhnlich die “Wärmeleitfähigkeit” l!=!sS!·!T! angegeben. Multipliziert man Gleichung (2.12) mit T, so erhält man T · jS = – T · sS · grad T = – l · grad T Mit T · jS = jE erhält man die Energiestromdichte jE = – l · grad T (2.13) sS ist (wie auch l, aber auch wie die elektrische Leitfähigkeit und die Impulsleitfähigkeit) von der Temperatur abhängig. In Tabelle 2.2 sind die Werte von sS! und l für einige Stoffe wiedergegeben. 26 Wir wollen uns nun noch eine Differentialgleic hung beschaffen, die es gestattet, Temperaturverteilungen zu berechnen. Zur Herleitung betrachten wir ein eindimensionales Problem: einen Wärmeleiter, dessen Temperatur sich nur in der x -Richtung ändert, Abb. 2.20. Wir schneiden in Gedanken eine Scheibe quer zur x-Richtung aus dem Wärmeleiter aus und machen für diese Scheibe die Energiebilanz. Die zeitliche Änderung dE/dt im Innern der Scheibe ist gleich der Differenz der Stärken des links hinein- und des rechts herausfließenden Energiestroms: Abb. 2.20. Die Entropie fließt von links nach rechts. dE = -[ P( x + dx ) - P ( x )] dt (2.14) Mit Hilfe von dE = c · n · dT drücken wir die linke Seite durch die zeitliche Temperaturänderung aus: dE ∂T ∂T = c ⋅ n⋅ = c ⋅ r n ⋅ Adx ⋅ dt ∂t ∂t Hier ist c die molare Wärmekapazität, n die Stoffmenge und rn die Stoffmengendic hte. Die rechte Seite von Gleichung (2.14) lässt sich schreiben - dP dj ∂ Ê ∂T ˆ dx = - Adx ⋅ E = Adx ⋅ l ⋅ Á ˜ dx dx ∂ x Ë∂ x¯ = Adx ⋅ l ⋅ ∂ 2T ∂ x2 Hier wurde zuerst P = jE · A und dann jE = –l · ∂T/∂x ersetzt. Damit ergibt sich für Gleichung (2.14): c ⋅ rn ⋅ Adx ⋅ ∂T ∂ 2T = Adx ⋅ l ⋅ 2 ∂t ∂x oder ∂ 2 T c ⋅ rn ∂T ⋅ =0 ∂ x2 l ∂t Die dreidimensionale Rechnung hätte ergeben: c ⋅ rn ˙ DT ⋅T = 0 l Mit c = T· cS und l = T· sS kann man auch schreiben: c ⋅r DT - S n ⋅ T˙ = 0 sS Die Gestalt dieser Differentialgleichung ist dieselbe wie die der Schrödingergleichung für ein freies Teilchen –(h-2/2m)Dy =i h- (∂y/∂t) Im stationären Zustand ist ∂T/∂t = 0, also DT = 0. Beispiel: Die Temperaturen T1 und T 2 der Enden eines Metallstabes werden zeitlich konstant gehalten. Da ∂T/∂t = 0 und die Anordnung eindimensional ist, ergibt sich 27 ∂ 2T =0 ∂x 2 Daraus folgt ∂T = const ∂x Der Temperaturverlauf ist also linear. Die bisher untersuchten Entropieströme wurden durch einen Temperaturgradienten angetrieben. Wir nennen sie konduktive Ströme. Es gibt auch Strömungen, bei denen ein Strom I X durch einen Strom IY mitgenommen wird. Die gesamte Strömung wird allein durch den Gradienten der zu Y gehörenden intensiven Variable angetrieben. Den mitgenommenen Strom IX nennen wir einen konvektiven Strom. Der Entropiestrom im Rohr einer Zentralheizung z.B. ist ein konvektiver Entropiestrom. Zur Übertragung großer Entropiemengen sind konduktive Entropieströme ungeeignet. Wie dick müssten die Leitungen einer Zentralheizung sein, wenn man die Entropie konduktiv durch Kupferstäbe schicken wollte? Auch der Wärmehaushalt der Erde wird im Wesentlichen mit konvektiven Strömen bewältigt. Auf einen anderen Stromtyp, eine Art Suprastrom, kommen wir später noch zu sprechen: die Entropieübertragung mit elektromagnetischer Strahlung. 2.14 Zur Geschichte des Wärmebegriffs Bis etwa 1840 nannte man das Wärme, was die Physiker heute Entropie, und was Nichtphysiker auch heute noch Wärme nennen. Dieser Wärmebegriff etablierte sich in der Physik im Laufe des 18. Jahrhunderts. Die ersten wichtigen Beiträge verdanken wir dem Chemiker und Arzt Joseph Black (1728-1799). Er erkannte die Wärme als mengenartig und unterschied sie von der damals bereits bekannten Temperatur. Black führte auch die Größe Wärmekapazität ein, nämlich die Größe dS/dT, die heute Entropiekapazit ät heißt. Der nächste entscheidende Schritt wurde von Sadi Carnot (17961832) getan. In seiner Schrift “Réflexions sur la puissance motrice du feu” (1824) vergleicht er einen Wärmemotor mit einem Wasserrad. Wie Wasser Arbeit leistet, wenn es aus größerer Höhe über ein Wasserrad auf ein niedrigeres Niveau hinunterfließt, so leistet Wärme (“calorique” oder “chaleur”) Arbeit, wenn sie in einer Wärmekraftmaschine von höherer zu niedrigerer Temperatur gelangt. Carnot verknüpft also, in moderner Sprache ausgedrückt, Entropie und Energie. Von der Entropie hatte er, wie Black, eine mengenartige Vorstellung, von der Energie wohl noch nicht. Tatsächlich wurde die Energie als eigene Größe, und als Erhaltungsgröße , erst 20 Jahre später eingeführt (ihre Mengenartigkeit hat sich bis heute noch nicht etabliert). Als um die Jahrhundertmitte die Erhaltungsgröße Energie entdeckt wurde, schloss man, Carnots Arbeiten seien falsch und man bezeichnete als Wärme eine so genannte “Form” der Energie. Damit war “Wärme” nicht mehr der Name einer physikalischen Größe, sondern eines Gebildes der Form x dX, also einer so genannten Differentialform, genauso übrigens wie “Arbeit”. Kurze Zeit später wurde die Entropie durch Rudolf Clausius (1822-1888) neu erfunden. Clausius' Konstruktion der Entropie ist zwar geistreich, leider aber auch sehr unanschaulich. Diese Konstruktion, zusammen mit der Vertauschung der Namen, sind der Grund dafür, dass noch heute die Entropie als eine der abstraktesten physikalischen Größen gilt. 28 Es bleiben noch zwei wichtige Namen zu erwähnen. Gibbs (18391903) hat der Thermodynamik eine Form gegeben, in der sie weit mehr zu beschreiben gestattet, als was man einfach Wärmelehre nennt. Die Analogien, die in dieser Vorlesung immer wieder ausgenutzt werden, beruhen auf den gibbsschen Arbeiten. Boltzmann (1844-1906) versuchte, die Thermodynamik auf die Mechanik zurückführen, indem er thermische Erscheinungen durch die Bewegung kleiner Teilchen erklärte. Temperatur und Entropie bekamen eine mechanische Deutung. Dazu musste er die statistische Physik erfinden. Deren Bedeutung geht weit über die zu ihrer Herleitung benutzten mechanischen Modelle hinaus. 29 3. Stoffmenge und chemisches Potential 3.1 Stoffe und Grundstoffe Wie man den Ort eines Punktes im Raum durch drei Koordinatenwerte in einem räumlichen Bezugssystem beschreibt, so charakterisiert man einen Stoff durch seine Koordinaten in einem stofflichen Bezugssystem. Den Koordinatenachsen sind Grundstoffe zugeordnet. Der Wert einer Koordinate X i des Stoffes S gibt die Menge des Grundstoffs i an, die in S enthalten ist. In Abb. 3.1 ist eine bestimmte Kochsalzlösung durch einen Punkt in einem m Wasser mKochsalz - Koordinatensystem dargestellt. (Wir benutzen hier die Masse als Mengenmaß.) Die Werte aller anderen Koordinaten, z.B. mEisen oder mAlkohol sind Null. In diesem Koordinatensystem lassen sich alle Mischungen aus Wasser und Kochsalz darstellen, vom reinen Wasser bis zum reinen Kochsalz. Man kann dieselbe Stoffmannigfalt igkeit “Kochsalzlösun g” auch in einem anderen Koordinatensyst em beschreiben, das man aus dem ersten durch Linearkombinat ion erhält, Abb. 3.2. In diesem muss man allerdings auch negative Stoffmengen zulassen. Reines Wasser z.B. “besteht” aus einmolarer Kochsalzlösung und einer negativen Menge Kochsalz. Welche und wie viele Stoffe man als Grundstoffe wählt, ist weitgehend eine Frage der Zweckmäßigkei t. Es dürfen nicht zu viele sein – sonst sind die Koordinaten eines Stoffs nicht mehr eindeutig. Bei unserer Kochsalzlösung z.B. dürfen wir nicht Wasser, Kochsalz und einmolare Kochsalzlösung nehmen. Sind es zu wenig, so kann zweierlei passieren. – Ein Stoff lässt sich gar nicht in den Koordinaten darstellen Eine Menge Benzin lässt sich z.B. nicht durch die Koordinaten Kochsalzmenge und Wassermenge beschreiben. – Verschiedene Stoffe haben dieselben Koordinatenwerte. Nimmt man als Grundstoffe z.B. “Elektronen”, “Protonen” und “Neutronen”, so haben viele Stoffe, die der Chemiker unterscheiden möchte, dieselben Koordinaten. Wenn man von einem Stoff spricht, abstrahiert man gewöhnlich von der Gesamtmenge. Statt die Mengen der Grundstoffe, ist es daher üblich, Gehaltszahlen anzugeben. Sind A, B, C... die Grundstoffe, so wird ein Stoff durch die Gehaltsformel An1 Bn2 Cn3 … mWasser(kg) 10 8 6 4 2 0 mKochsalz(kg) 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 Abb. 3.1. Eine bestimmte Kochsalzlösung als Punkt in einem mWasser - mKochsalz- Koordinatensystem 10 8 6 4 6 l reines Wasser 2 0 -0,4 -0,2 meinmolare Kochsalzlösung(kg) dieselbe Lösung wie in Abb. 3.1 mKochsalz(kg) 0 0,2 0,4 Abb . 3.2. Die selb e Koc hsa lzlö sun g wie in Abb . 3.1 in einem anderen Koordinatensystem charakterisiert, wobei für die Stoffmengen nA, nB, nC,…gilt nA : nB : nC : … = n1 : n2 : n3 : … Die Grundstoffe des Chemikers sind die rund 100 chemischen Elemente. Sie haben die Besonderheit, dass sich ihre Mengen in reinen Stoffen wie kleine ganze Zahlen verhalten. Oft reicht auch hier die Angabe der Koordinaten in einem stofflichen Koordinatensystem nicht aus, einen Stoff zu charakterisieren. Zwei verschiedene Stoffe können dieselbe Gehaltsformel haben, z.B. Ammoniumcyanat und Harnstoff: CH4ON2. Das beweist, dass die Stoffe mikroskopisch nicht homogen sind. Um sie zu unterscheiden, gibt der Chemiker die räumliche Verknüpfung der Grundstoffatom e an, Abb. 3.3. Abb. 3.3. Ammonium cyanat und Harnstoff haben dies elbe Geh alts for mel , aber die Mo lekü le der beiden Stoffe haben eine verschieden Struktur. 30 Manche “reinen” Stoffe kommen rein gar nicht vor, z.B. Kohlensäure H2CO3 existiert nur in wässriger CO2-Lösung, oder FeO gibt es nur zusammen mit Fe2O3. Was für den Chemiker als einheitlicher Stoff erscheint, erweist sich bei genauerer Betrachtung als Gemisch noch “reinerer” Stoffe: Von jedem chemischen Grundstoff gibt es verschiedene Isotope. Will man die verschiedenen Isotope bei der Charakterisierun g eines Stoffes berücksichtigen , so hat man es statt mit 100 chemischen Elementen mit etwa 2000 Nukliden dieser Elemente zu tun. Die Nuklide wiederum kann man durch nur drei Grundstoffe e, p und n beschreiben, die allerdings keine Stoffnamen haben. Ihre Elementarportionen heißen Elektron, Proton und Neutron. Um die Nuklide in diese Grundstoffe zu zerlegen, muss man höhere Energien aufwenden als die, die der Chemiker aufwendet, um seine Stoffe in Grundstoffe zu zerlegen. Die Stoffe e, p und n kommen auf der Erde zwar nicht in größeren Mengen rein vor, geringe Mengen dagegen kann man recht leicht darstellen. Der Glühdraht einer Glühlampe ist von einer dünnen Schicht aus reinem e umgeben. p-Gas gewinnt man mit einer elektrischen Gasentladung in Wasserstoff. Reines n gibt es zwar auch auf der Erde, aber in viel größeren Mengen in bestimmten Himmelskörpern, den Neutronensternen. Unter Aufwendung sehr hoher Energien kann man nun aber Stoffe erzeugen, die außerhalb des e, p und n-Koordinatensystems liegen. Man muss neue Grundstoffe hinzunehmen: Antiprotonen, Antineutronen und viele verschiedene Mesonen… Aber auch diese Stoffe kann man wieder durch weniger, noch elementarere Grundstoffe beschreiben: Quarks und Leptonen, und auch auf dieser Stufe der Hierarchie passiert dasselbe wie vorher: Durch Aufwendung höherer Energien wird die Zahl der neuen Grundstoffe wieder größer und... man sucht natürlich nach noch elementareren Grundstoffen. Man benutzt ein stoffliches Koordinatensystem, um Ordnung in die Vielfalt der Stoffe zu bringen. Man wählt sein Koordinatensyst em so, dass bei den Stoffumwandlungen, die man hervorruft oder untersucht, die Menge jedes Grundstoffs erhalten bleibt. So beschränkt sich der Chemiker auf solche Reaktionen, bei denen die Menge jedes chemischen Elements erhalten bleibt. Durch die Wahl seines Koordinatensystems wird die Beschreibung der chemischen Reaktionen sehr einfach: Die Mengen der Grundstoffe sind bei allen chemischen Prozessen Erhaltungsgrößen. Wir werden in dieser Vorlesung meist das Koordinatensystem des Chemikers verwenden. Tatsächlich enthält dieses Koordinatensystem noch eine Koordinate mehr als nur die chemischen Grundstoffe. Der Chemiker operiert nämlich auch noch mit den Stoffen, die man Ionen nennt. So spricht er von der Menge an [Na]+- Ionen oder [CO3]2– -Ionen. Um diese Stoffe zu beschreiben, genügt es, neben den chemischen Elementen einen weiteren Grundstoff einzuführen. Welchen man nimmt, ist wieder weitgehend eine Frage der Zweckmäßigkeit. Eine Möglichkeit wären die Elektronen e. Damit lauten die Gehaltsformeln [Na]+ = Na1 e–1 [CO3]2– = C1 O3 e2. Man könnte aber genauso gut die Protonen p = [H] + als neuen Grundstoff nehmen, dann wäre [Na]+ = Na1 H–1 p1 [CO3]2– = C1 O3 H2 p–2 . In beiden Fällen kommen negative Gehaltszahlen vor. 31 3.2 Die Menge Ein Mengenmaß soll Auskunft darüber geben, wie viel von einem Stoff zu einer gegebenen Menge eines anderen äquivalent ist. Da verschiedene Stoffe verglichen werden sollen, kann sich die Äquivalenz nur auf bestimmte Eigenschaften beziehen, und zwar je nach Wahl des Mengenmaßes auf andere. Benutzt man die Masse als Mengenmaß, so sind gleiche Mengen äquivalent in Bezug auf ihr Verhalten in einem Gravitationsfeld: Auf beide wirkt dieselbe Kraft. Bestimmte physikalische Gesetze sind bei Verwendung der Masse als Mengenmaß stoffunabhängig. Es gibt eine andere mengenartige Größe, die Stoffmenge oder kurz Menge n , die in bestimmten Fällen ein geeigneteres Mengenmaß darstellt als die Masse. Es gibt Beziehungen, die stoffunabhängig werden, wenn man sie mit n, und nicht mit m formuliert. Ein Beispiel hierfür ist die Gasgleichung pV = nRT. Ersetzt man in ihr n durch m , so tritt an die Stelle der universellen Gaskonstante R eine stoffabhängige Konstante. Eine andere stoffunabhängige Aussage ist Zwei Portionen verschiedener Stoffe mit gleichem n enthalten gleich viele Teilchen. (3.1) Die Aussage, dass eine Beziehung stoffunabhängig ist, ist aber nur dann eine interessante, d.h. an der Erfahrung prüfbare Beziehung, wenn die Größe n nicht durch die Beziehung definiert wurde. Wenn wir die Gasgleichung zur Definition von n benutzen, so ist Satz (3.1) eine Aussage, die man an der Erfahrung prüfen muss, sie ist ein Naturgesetz. Definiert man die Größe n dagegen als eine bestimmte Zahl von Teilchen, so ist die Tatsache, dass die Gasgleichung stoffunabhängig ist, ein interessanter, nachprüfbarer Sachverhalt. Der Satz (3.1) lehrt, dass man sich von n eine einfache Anschauung bilden kann: n ist ein Maß für eine Stückzahl. n beschreibt das, was zehn Moleküle, zehn Photonen, zehn Äpfel, zehn Autos und zehn Sterne gemeinsam haben. Die Maßeinheit der Menge ist das Mol. Das Mol ist folgendermaßen definiert: l!mol ist die Menge einer Portion des Kohlenstoffisotops 6C12, deren Masse 12,000!g ist. Da man weiß, wie viele Atome in 12!g Kohlenstoff etwa enthalten sind, kann man Satz (3.1) so formulieren: Eine Stoffportion hat die Menge n = 1!mol, wenn sie aus 6,022 · 1023 Teilchen besteht. (3.2) Man nennt NA = 6,022 ·1023 mol–1 die Avogadro-Konstante. Die Sätze (3.1) und (3.2) bringen eine wichtige Eigenschaft der Größe n zum Ausdruck: n ist, genauso wie die elektrische Ladung Q und der Drehimpuls L, ganzzahlig quantisiert, das heißt, es gibt eine natürliche Einheit. Das Elementarquant um der Menge, oder kurz die Elementarmenge ist: t = 1,66 ·10–24 mol Sie entspricht der Elementarladung e, dem elementaren Drehimpulsquantum h - und dem elementaren Entropiequantum k: 32 e = 1,6022 · 10–19 C h- = 1,0546 · 10–34 Js k = 1,380 · 10–23 Ct Produkte oder Quotienten dieser Elementarquant en sind wieder Naturkonstanten. So ist F0 = p ·h-/e = 2,06 · 10–15 Vs das Elementarquantum des magnetischen Flusses, oder gleich der Hälfte des Elementarquantums der magnetischen Ladung. F = e/t = 0,965 · 105 C/mol ist die Faradaykonstante, und R = k/t = 8,324 Ct/mol die Gaskonstante. Da Stoffe erzeugt und vernichtet werden können, ist n keine Erhaltungsgröße. In 3.1 wurde aber schon gesagt, dass man Grundstoffe so wählt, dass deren Mengen bei den jeweils interessierenden Prozessen Erhaltungsgrößen sind. Wenn verschiedene Stoffe A, B,… gleichzeitig vorliegen, benutzt man mehrere Mengenvariablen n A, n B… Man sollte daraus aber nicht schließen, dass nA und nB verschiedene physikalische Größen sind. Sie sind es genauso wenig, wie die Massen mA und m B oder die Entropien SA und SB der Stoffe. Bei einer chemischen Reaktion stehen die Mengen der Reaktionspartner in bestimmten, ganzzahligen Verhältnissen. Wenn sich etwa Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser verbindet, so verhalten sich die drei auftretenden Stoffmengen n[H2], n[O2] und n[H2O] so: n[H2] : n[O2] : n[H2O] = 2 : 1 : 2 Dies kommt auch in der Reaktionsgleichung zum Ausdruck: 2H2 + O2 Æ 2H2O (3.3) Man kann dieselbe Reaktion auch anders beschreiben, etwa so 4H2 + 2O2 Æ 4H2O Ist die Reaktionsgleichung mit den kleinsten ganzen Zahlen geschrieben, also so wie Gleichung (3.3), so befindet sie sich in der Normalform. Um zu beschreiben, wie weit eine Reaktion fortgeschritten ist, braucht man nicht die umgesetzten Mengen aller beteiligten Stoffe anzugeben. Es genügt die Angabe einer einzigen Molzahl, des Reaktionsumsatze s n(R). Der Reaktionsumsat z ist folgendermaßen definiert: Multipliziert man die Normalform der Reaktionsgleichung mit x mol, so erhält man eine Reaktionsgleichung, die den Umsatz von n(R)!=!x!mol beschreibt. Beispiel: Die Reaktion 4 Al + 3 O2 Æ 2 Al2O3 soll mit einem Umsatz von 200!mol ablaufen. Wir multiplizieren die Normalform mit 200!mol: 800!mol Al + 600!mol O2 Æ 400!mol Al2O3 Es müssen also 800!mol Aluminium mit 600!mol Sauerstoff zu 400!mol Aluminiumoxid reagieren. 33 3.3 Das chemische Potential Genauso wie es zu der mengenartigen Größe Q eine zugehörige intensive Größe j gibt, und zur mengenartigen Größe S eine intensive Größe T, so gibt es auch zu der mengenartigen Größe n eine intensive Größe: das chemische Potential oder Stoffpotential!m. Bevor wir die Konstruktion der m-Skala diskutieren, wollen wir uns eine qualitative Vorstellung von der Größe bilden. (Bei der Temperatur war das nicht nötig, da jeder von der Temperatur eine solche Vorstellung bereits hat.) So wie Temperaturdiffe renzen aufgefasst werden können als Antrieb für Entropieströme, so stellen Differenzen des chemischen Potentials einen Antrieb für n-Ströme dar. Entropie fließt vom hohen zum niedrigen “thermischen Potential” T, Menge fließt vom hohen zum niedrigen Stoffpotential m. Wenn ein Stoff gegen einen Widerstand von einem Ort A zu einem Ort B strömt und kein anderer Antrieb vorhanden ist, also keine elektrische Spannung Dj und keine thermische Spannung DT, können wir schließen, dass das chemische Potential des Stoffs bei A höher ist als bei B, zwischen A und B herrscht eine chemische Spannung Dm. Gießt man an einer Stelle des Zimmers ein paar Tropfen Äther aus, so verdampft dieser und breitet sich gleichmäßig im ganzen Zimmer aus. Man nennt diesen Ausbreitungsvor gang Diffusion. Den Antrieb hierfür bilden Differenzen des chemischen Potentials. Der Wert des chemischen Potentials bezieht sich normalerweise auf einen bestimmten Stoff, in unserem Fall auf Äther. Das chemische Potential der Luft im Zimmer hat einen anderen Wert. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass m [Äther] und m [Luft] verschiedene physikalische Größen sind: Es sind die Werte derselben Größe an zwei verschiedenen Systemen. (Vergleiche die entsprechenden Bemerkungen über n). Da Stoffe erzeugt und vernichtet werden können, spielt Dm noch eine andere Rolle als die des Antriebs für einen Strom von einer Stelle A zu einer Stelle B. Wenn sich ein Stoff A in einen Stoff B verwandeln kann, und umgekehrt, wenn also die Reaktion A ´ B stattfinden kann, so sagen uns die chemischen Potentiale der beiden Stoffe mA und m B, in welche Richtung die Reaktion läuft. Ist m A > m B, so verwandelt sich A in B, ist m B > m A, so verwandelt sich B in A. Falls mA = m B ist, läuft keine Reaktion ab. Man sagt, es herrsche chemisches Gleichgewicht. Ist z.B. die relative Luftfeuchtigkeit kleiner als 100%, so ist das chemische Potential von flüssigem Wasser größer als das von gasförmigem. Das flüssige Wasser verdunstet. Tatsächlich sind diese beiden Beispiele – die Diffusion und die Verdunstung – gar nicht so verschieden wie es zunächst aussieht. Man kann nämlich den Fall der Diffusion auch als Reaktion auffassen: “Äther am Ort A verwandelt sich in Äther am Ort B”. Man kann damit mA allgemein auffassen als den Trieb eines Stoffes A zu verschwinden. Da aber immer bestimmte Erhaltungssätze befriedigt werden müssen, kann der Stoff A nicht spurlos verschwinden: Sein Verschwinden ist begleitet vom Entstehen von Stoff B mit niedrigerem chemischen Potential. Stoff B kann entweder “derselbe” Stoff sein wie A, nur mit geringerem Druck, in niedrigerer Konzentration, in einem anderen Aggregatzustand , in einer sonstigen anderen Phase, oder er kann das sein, was man einen anderen Stoff nennt. 34 Das sind aber noch längst nicht alle Möglichkeiten dafür, wie ein Stoff verschwinden kann: Ein Stoff kann auch zerfallen in zwei oder noch mehr andere Stoffe, oder er kann mit anderen Stoffen reagieren, allgemein: A + B +…´ U + V +… Ob eine solche Reaktion von links nach rechts oder umgekehrt abläuft, hängt von den Werten der chemischen Potentiale aller beteiligten Stoffe ab. Ist mA + mB +… > mU + mV +…, so läuft die Reaktion von links nach rechts: Die Stoffe A, B,… verschwinden, und es entstehen die Stoffe U, V,… Ist dagegen mA + mB +… < mU + mV +…, so läuft die Reaktion von rechts nach links. Falls mA + mB +… = mU + mV +… ist, hat die Reaktion keinen Antrieb mehr. Sie läuft dann gar nicht mehr. Es liegt chemisches Gleichgewicht vor.. Es ist bemerkenswert, dass so viele verschiedene Vorgänge durch die Werte einer einzigen physikalischen Größe beschrieben werden. Das chemische Potential ist also eine sehr nützliche Größe. 3.4 Die Skala des chemischen Potentials Wir definieren die m-Skala auf ähnliche Art wie die T-Skala. Wie ein Entropiestrom ist ein Mengenstrom von einem Energiestrom begleitet, und es muss gelten P µ In Wir legen die m-Skala fest durch P= m · In Die Maßeinheit des chemischen Potentials ist hiernach J/mol, und wir kürzen ab l J/mol = l Gibbs (G). Wenn man einen Stoffstrom realisiert, so fließt nicht nur die Größe n, sondern auch andere mengenartige Größen, also auch S, Q,… Der Energiestrom ist demnach P= m · In + T · IS + … Will man m über P/I n bestimmen, so müssen die Terme T · IS etc. vorher vom gesamten Energiestrom abgezogen werden. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, geben wir zunächst wieder ein Verfahren an, das nur m -Differenzen festlegt: Wir betrachten einen Energieumlader, in den Energie zusammen mit Stoffmenge hinein- und aus dem die Energie mit einem anderen Träger herausfließt, z.B. mit Drehimpuls P = w · M oder mit elektrischer Ladung: P!=!U!· I. Die Maschine soll gut gebaut sein, d.h. in ihr soll keine Entropie erzeugt werden. Wir beschränken uns außerdem zunächst auf solche Energieumlader , in denen Reaktionen vom Typ A Æ B stattfinden, also nicht etwa A Æ B + C oder A + B Æ C+ D…. Solche Geräte haben zwar keine große praktische Bedeutung, aber darauf kommt es hier nicht 35 an. Ein Beispiel für einen solchen Energieumlader ist die Pressluftmaschine, Abb. 3.4: Die Luft fließt auf hohem chemischem Potential m2 (und damit auf hohem Druck) hinein und auf niedrigem Potential m1 (und auf niedrigem Druck) heraus. Damit fließt netto in die Maschine der Energiestrom P2 – P1 = ( m2 – m1) · In hinein. Dieser Energiestrom kann gemessen werden, da er die Maschine mechanisch durch die Welle verlässt. Es ist also Pmech = w · M = ( m2 – m1) · In Diese Bilanzgleichung ist allerdings nur dann richtig, wenn keine weiteren Energieströme beteiligt sind. Da ein Stoffstrom stets mit einem Entropiestrom verknüpft ist, ist es wichtig, dass der hineinfließende Stoff dieselbe Temperatur hat, wie der herausfließende, die Maschine muss isotherm arbeiten. Man muss außerdem damit rechnen, dass die Entropiekapazität von hinein- und herausfließendem Stoff verschieden ist. Eine solche Maschine muss also im Allgemeinen noch einen weiteren Eingang oder Ausgang für Entropie haben. Ein anderes Beispiel für einen solchen Energieumlader stellt die im Physik-II-Skript um beschriebene galvanische Zelle dar. Wasserstoff fließt auf hohem chemischem Potential in die Zelle hinein und auf niedrigem Potential aus ihr heraus. Dafür gibt die Zelle Energie elektrisch ab. Es gilt also U · I = ( m2 – m1) · In Selbstverständlich kann man auch eine Maschine oder galvanische Zelle betrachten, in der eine kompliziertere Reaktion abläuft, z.B. eine Verbrennung. Sie gestattet, die chemische Spannung der Verbrennungsreaktion zu bestimmen. 3.5 Der Nullpunkt des chemischen Potentials Wie die Temperatur, so hat auch das chemische Potential einen absoluten Nullpunkt. Der Wert folgt aus der Gleichung P!= m !·!In. Wir betrachten einen Stoffstrom. Für ihn ist Pgesamt = !m!·!In + v · F + T · IS +… Falls der betrachtete Stoff eine von Null verschiedene Ruhmasse hat, falls es sich also nicht um Licht oder Neutrinos handelt, so ist P, außer in Extremfällen, sehr groß gegen die Terme v · F , T! ·!IS etc., d.h. !m!·!In ist in diesen Fällen mit P gesamt nahezu identisch, und es ist m= P E m 2 = = c = mˆ c 2 In n n Der Absolutwert von!m ist damit für Stoffe mit von Null verschiedener Ruhemasse sehr groß, Tabelle 3.1. Nun sind chemische Spannungen Dm bei chemischen Reaktionen, also bei den uns interessierenden Prozessen, von der Größenordnung 100 kG, d.h. viel kleiner als die Unsicherheit, mit der die Absolutwerte von m bekannt sind. Man operiert daher in der gewöhnlichen Chemie (nicht aber in der Kernchemie) und in der Physik niedriger Energien nur mit Differenzen chemischer Potentiale. Solange man Abb. 3.4. Preßluftmaschine, schematisch 36 Stoff Wasserstoff H1 Helium He4 Sauerstoff O16 Tabelle 3.1 !m (kG) 90,5791 · 109 359,737 · 109 1437,555 · 109 nämlich nur solche Vorgänge betrachtet, bei denen die Atomzahlen aller chemischen Elemente erhalten bleiben, solange also keine Kernreaktionen ablaufen, kann man für jedes der chemischen Elemente einen Nullpunkt des chemischen Potentials einzeln festlegen. Man sieht das am Beispiel der einfachen Reaktion A + B Æ AB. Wir zerlegen die chemischen Potentiale mA = mA0 + mA' mB = mB0 + mB' mAB = mA0 + mB0 + mAB' Die chemische Spannung der Reaktion mA + mB – mAB = mA' + mB' – mAB' ergibt sich also sowohl aus den Absolutwerten mA, mB und mAB der chemischen Potentiale, als auch aus den gestrichenen Werten mA', mB' und mAB'. Wir haben dabei die Freiheit, den Wert mX0 für jedes chemische Element beliebig zu wählen. Man wählt nun die m X0 so, dass mX' für einen leicht reproduzierbaren Normzustand Null wird. Gewöhnlich setzt man das chemische Potential mX' des Stoffes X gleich Null, wenn der Stoff in seiner stabilsten Modifikation bei 298!K und 1,01!bar vorliegt. Für gelöste Stoffe (auch Ionen) wählt man als Bezugszustand eine einmolare Lösung (1!mol Gelöstes in 1!l Lösung). Wir lassen den Strich von jetzt ab weg. 3.6 Die Werte des chemischen Potentials Das chemische Potential hat für einen gegebenen Stoff nicht einen festen, in allen Zuständen des Stoffs gleichbleibende n Wert, es hängt vielmehr ab – von der Zustandsform, d.h. davon, ob der Stoff fest, flüssig oder gasförmig ist, in welcher Kristallmodifikation er vorliegt oder ob er in einem anderen Stoff gelöst ist; – von der Temperatur T; -– vom Druck p; – von seiner Mengendichte rn . Wir werden uns in Kapitel 5 mit diesen Abhängigkeiten genauer befassen. In der Umgebung des Normzustandes p0, T 0 kann aber die T- und die p-Abhängigkeit durch einen linearen Verlauf angenähert werden: m(T, p0) = m(T0, p0) + a · (T - T0) m(T0, p) = m(T0, p0) + b · ( p - p0) Für die Lösung vieler Probleme ist es daher nützlich, wenn man neben dem Wert des chemischen Potentials im Normzustand m (T0, p0) noch den Temperaturkoeffizienten a und den Druckkoeffizienten b kennt. Die Druckkoeffizienten b sind immer positiv. Das sieht man leicht ein, wenn man daran denkt, dass eine chemische Spannung einen “Antrieb” für einen Stoffstrom darstellt. Bekanntlich strömen Stoffe von selbst von Stellen hohen zu Stellen niedrigen Drucks. 37 Nicht so leicht ist es dagegen einzusehen, dass der Temperaturkoeffizient negativ ist. Das scheint der Erfahrung zu widersprechen, dass Wasserdampf in einem geheizten Raum von warmen Stellen zu kalten diffundiert, etwa zu den kalten Fensterscheiben . Der Antrieb für diesen Stoffstrom ist aber hier nicht die chemische, sondern die thermische Spannung: Die Temperaturdifferenz “zieht” an der Entropie des Wasserdampfes. In Tabelle 3.2 sind für einige Stoffe die Werte des chemischen Potentials, sowie die Druck- und Temperaturkoeffizienten aufgeführt. Die chemischen Elemente haben definitionsgemä ß im Normzustand in ihrer stabilsten Form das chemische Potential Null. So wird festgelegt m [H2] = 0 und nicht m [H] = 0. Außerdem wurde m [H+] = 0 festgelegt. Die Stoffe, deren chemisches Potential negativ ist, zerfallen nicht von selbst in die Grundstoffe, aus denen sie bestehen. 3.7 Beispiele für den Umgang mit dem chemischen Potential 1. Stabilität von Oxiden: Man entnimmt der Tabelle direkt, dass unter Normalbedingungen die Oxide CO2, Al2O3 und Fe2O3 stabil sind, ClO2, Au2O3 und NO2 dagegen nicht. (ClO2-Gas zerfällt sogar explosionsartig, NO2 dagegen zerfällt nur sehr langsam; man sagt, es ist metastabil.) 2. Abbinden von Mörtel: Ca(OH)2 + CO2 Æ CaCO3 + H2O Ca(OH) 2 CO 2 CaCO3 H 2O m (kG) -897 ¸ ˝ - 1291 -394 ˛ -1129¸ ˝ - 1366 -237 ˛ Das chemische Potential der Ausgangsstoffe (-1291!kG) ist höher als das der Endstoffe (-1366!kG). 3. Herstellung von Ethin: CaC2 + 2 H2O Æ Ca(OH)2 + C2H2 Bei der Berechnung der chemischen Spannung dieser Reaktion muss man beachten, dass das Wasser in doppelter Menge auftritt. Die chemische Spannung ist also (m[CaC2] + 2m[H2O]) - (m[Ca(OH)2] + m[C2H2]) CaC 2 H 2O Ca(OH) 2 C2H 2 m (kG) -68 ¸ ˝ - 542 -237 ⋅ 2 ˛ -897¸ ˝ - 688 +209˛ 38 Stoff m in kJ/mol Eisen Kalkstein Zucker Wasser Ethin CO2 NO2 ClO2 Al2O3 Fe2O3 Au2O3 H2 H Graphit Diamant Ca(OH)2 CaO H+ NaCl Na+ ClAgCl fest AgCl gelöst Ag+ HCl Gas HCl gelöst NH3 Gas NH3 gelöst Ca++ Pb++ Zn++ Ba++ CO3 -S -JPbCO3 ZnCO3 CaCO3 BaCO3 CaC2 PbS ZnS BaS PbJ2 ZnJ2 BaJ2 H2O, fest H2O, flüssig H2O, gasig 0 - 1129 -1544 -237 209 -394 51 122 -1582 -744 164 0 203 0 2,9 -897 -604 0 -384 -262 -131 -110 -73 77 -95 -131 -16 -27 -553 -24 -147 -561 -528 86 -52 -626 -732 -1129 -1139 -68 -99 -201 -461 -173 -209 -598 -236,59 -237,18 -228,59 a in kJ/(mol · K) = kG/K - 0,027 -0,093 -0,360 -0,070 -0,201 -0,214 -0,240 -0,257 -0,051 -0,087 -0,131 -0,115 -0,0057 -0,0024 -0,076 -0,040 0 -0,072 -0,059 -0,056 -0,096 -0,154 -0,073 -0,187 -0,056 -0,193 -0,111 0,055 -0,010 0,11 -0,013 -0,057 -0,015 -0,111 -0,131 -0,082 -0,093 -0,112 -0,07 -0,091 -0,058 -0,175 -0,161 -0,0448 -0,0699 -0,1887 b in kJ/(mol · kbar) = G/bar 0,71 3,69 21,70 1,81 2446 2446 2446 2446 2,56 3,04 2446 2446 0,541 0,342 3,32 1,65 0,02 2,70 -0,16 1,80 2,58 0,17 2446 1,82 2446 2,41 -1,78 -2,6 -1,24 0,35 3,66 4,05 2,82 4,46 3,19 2,39 3,99 7,61 6,74 7,60 1,973 1,807 2446 Tabelle 3.2. Chemisches Potential m, Temperaturkoeffizient a und Druckkoeffizient b für einige Stoffe 39 Die chemische Spannung ergibt sich damit zu 146!kG. Man beachte, dass die Reaktion abläuft, obwohl das chemische Potential des Ethins >!0 ist. Dass die Reaktion abläuft, liegt daran, dass m [Ca(OH)2] stark negativ ist. 4. Herstellung von Diamant: CGraphit Æ CDiamant Das chemische Potential von Diamant ist unter Normalbedingun gen größer als das von Graphit, Diamant ist also metastabil. Da bGraphit > bDiamant ist, kann man aber durch Erhöhen des Drucks erreichen, dass das chemische Potential des Graphits größer als das des Diamants wird. Wir berechnen den Druck, bei dem die chemischen Potentiale gleich sind (G!=!Graphit, D!=!Diamant): m0G + bG · Dp = m0D + bD · Dp fi Dp = m 0 G - m0 D bD - bG Mit m0G = 0, m0D = 2,9!kG, bG = 0,541!kG/kbar und bD = 0,342!kG/kbar wird Dp = 0 - 2, 9 kbar ª 15 kbar 0, 342 - 0, 541 5. Schmelzen von Eis: Eis (E) Æ flüssiges Wasser (W) Wir entnehmen der Tabelle, dass bei Normalbedingun gen, d.h. bei 25 ˚C und 1!bar das chemische Potential von flüssigem Wasser m W kleiner als das von Eis mE ist – in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass unter diesen Bedingungen Eis nicht existiert. Da aE!!>!aW ist, muss es aber eine niedrigere Temperatur geben, bei der Eis die stabile und flüssiges Wasser die instabile Zustandsform ist. Wir berechnen die Temperatur, bei der mE = m W ist, bei der chemisches Gleichgewicht zwischen fester und flüssiger Phase herrscht. Dies ist die Schmelztemperatur. m0E + aE · DT = m0W + aW · DT fi DT = - m0E - m0W 236, 59 - 237,18 =K = -23, 5 K a E -aW 0, 0448 - 0 ,0699 Die Schmelztempera tur sollte also bei 25˚C - 23,5˚C!= 1,5˚C liegen. Trotz der linearen Näherung haben wir ein recht gutes Ergebnis erhalten. 6. Gefrierpunktsänderung von Wasser durch Ändern des Drucks Bei Erhöhung des Drucks sinkt der Gefrierpunkt von Wasser. Wir berechnen D p/DT. (W = flüssiges Wasser, E = Eis). Beim Gefrierpunkt ist stets mE = mW. Daher gilt: m0E + bE · Dp + aE · DT = m0W + bW · Dp + aW · DT 40 Da auch m0E = m0W ist, wird DT = - bW - bE Dp aW - aE Mit den Werten der Tabelle wird DT/Dp = –0.0066 K/bar. 7. Gefrierpunktserniedrigung durch Lösen eines Fremdstoffs Am Gefrierpunkt des Wassers sind die chemischen Potentiale von Eis und flüssigem Wasser gleich. Gibt man zu einer Eis-Wasser-Mischung etwas Salz, so löst sich das Salz, und das chemische Potential des flüssigen Wassers sinkt. Daher schmilzt Eis, und die Temperatur nimmt ab. Schließlich wird eine Temperatur erreicht, bei der das chemische Potential des Eises mit dem der Salzlösung übereinstimmt. 3.8 Der Reaktionswiderstand Wir haben im vorigen Abschnitt nach den Werten des chemischen Potentials der Ausgangs- und der Endprodukte von Reaktionen gefragt, d.h. nach der chemischen Spannung. Ist die Spannung von null verschieden, so kann die Reaktion ablaufen, ist sie gleich null, so kann sie nicht ablaufen. Nun ist aber eine von null verschiedene chemische Spannung eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, dass eine Reaktion abläuft, dass ein Phasenübergang stattfindet oder dass ein Stoff von einem Ort zu einem anderen strömt oder diffundiert, – genauso wie eine von null verschiedene elektrische Spannung notwendig für das Fließen eines elektrischen Stromes, aber nicht hinreichend ist. Wenn ein elektrischer Strom fließen soll, darf außerdem der Widerstand nicht zu groß sein, Abb. 3.5. Ist der Widerstand unendlich groß, so sagen wir der elektrische Strom ist gehemmt. (“Die Elektrizität möchte fließen, aber sie kann nicht.”) Auch beim Ablauf chemischer Reaktionen gibt es einen Widerstand, und auch chemische Reaktionen können ganz und gar gehemmt sein, d.h. sie laufen trotz von null verschiedener chemischer Spannung nicht ab. Die verbale Beschreibung dieser Hemmungen ist je nach Reaktionstyp verschieden. Abb. 3.5. Eine von null verschiedene elektrische Spa nnu ng ist notw endi g, aber nich t hinr eich end für das Fließen eines elektrischen Stroms. Leiter und Nichtleiter Wie man zur Realisierung elektrischer Stromkreise als wichtigste Bauelemente Leiter und Nichtleiter braucht, so braucht man zur Realisierung von Stoffumsetzungen Stoffleiter und -nichtleiter. Da es aber viele verschiedene Stoffe gibt, ist es wünschenswert über selektive Leiter und Nichtleiter zu verfügen: Ein Bauelement soll Stoff A hindurchlassen, Stoff B aber nicht. 41 Ein einfacher, aber nicht sehr selektiver Stoffleiter ist ein Rohr: Es “leitet” ungeladene Flüssigkeiten und Gase. Wasser ist ein Leiter für viele Ionen, aber auch für andere Substanzen, die sich in Wasser lösen, z.B. Zucker. Es ist dagegen ein Nichtleiter für Elektronen. Metalle leiten Elektronen gut, fast alle anderen Stoffe aber schlecht. (Aber Platin leitet H+ - Ionen recht gut.) Glas lässt sichtbares Licht durch, aber keine Luft (oder andere Gase und Flüssigkeiten). Gase sind für andere Gase durchlässig, wenn auch nicht sehr gut. Eine Flüssigkeit A ist durchlässig für eine Flüssigkeit B, falls A und B “mischbar” sind. Z.B. ist Wasser für Alkohol durchlässig. Eine feste Wand, die für bestimmte Ionensorten durchlässig ist, für andere aber nicht, nennt man ein Diaphragma. Diffusion Man nennt einen Stofftransport Diffusion, wenn – ein Stoff A durch einen Stoff B hindurchströmt, wobei A ein Gas ist, B dagegen gasförmig, flüssig oder fest sein kann; – der Antrieb für den Strom ein Gradient des chemischen Potentials ist. Die Diffusion ist ein dissipativer Vorgang, es wird Entropie erzeugt. Ein Stoff liege an einer Stelle in höherer Konzentration vor als an einer anderen, z.B. in Wasser gelöste Manganat-Ionen, Abb. 3.6. Der Stoff diffundiert solange von der einen Stelle zur anderen, bis die Konzentration, und damit sein chemisches Potential überall gleich ist: Es herrscht chemisches Gleichgewicht. Der Mengenstrom ist proportional zum Gradienten des chemischen Potentials: jn = - sn · grad m Die “Stoffleitfähigkeit” s n hängt mit der Diffusionskonstante D zusammen über sn = D⋅rn R⋅T Die Stoffstromstärke hängt damit ab - von der Fläche des Strömungskanals - von seiner Länge (je länger er ist, desto kleiner wird bei gegebener chemischer Spannung grad m) - von sn. Man kann die Diffusion z.B. dadurch hemmen, dass man die Entfernung zwischen den beiden Stellen verschiedenen chemischen Potentials sehr groß macht. Abb . 3.6. Die Mangan at-I onen strö men von Stel len hoher Konzent rati on zu Stellen nied riger Kon zentration. 42 Phasenübergänge fest ´ flüssig ´ gasförmig Die Phasenübergäng e fest ´ flüssig und flüssig ´ gasförmig laufen gewöhnlich völlig ungehemmt ab, d.h. es baut sich keine chemische Spannung zwischen den Phasen auf. Die Phasen stehen nahezu im Gleichgewicht. Nur mit Mühe erreicht man, dass sich Spannungen aufbauen. Doppelt destilliertes Wasser kann man bis 140°C erhitzen, ohne dass es verdampft (Siedeverzug). Das chemische Potential des flüssigen Wassers ist dann größer als das des gasförmigen. Umgekehrt kann man auch Dämpfe unterkühlen (“übersättigter Dampf”), das chemische Potential des Dampfes ist dann größer als das der Flüssigkeit. Entsprechend kann man Flüssigkeiten unterkühlen. Eine kleine Menge staubfreies Wasser kann man bis – 30˚C abkühlen, ohne dass das Wasser erstarrt. Chemische Reaktionen Man kann den Reaktionswider stand dadurch groß machen, dass man die Reaktionspartner räumlich trennt. Bringt man sie zusammen, so muss der Widerstand allerdings noch nicht klein sein. Für manche Reaktionen wird er klein, für andere bleibt er aber immer noch sehr groß. Eine Reaktionen, die spontan sehr schnell abläuft, ist 2 Na + 2 H2O Æ 2 NaOH + H2 m[Na] = 0!kG, m[H2O] = -237!kG, m[NaOH] = -380!kG, m[H2] = 0!kG, Dm = 143!kG Bei den meisten Reaktionen ist der Widerstand sehr hoch: Die Reaktionen sind gehemmt. So läuft die Reaktion 2 H2 + O2 Æ 2 H2O trotz großer chemischer Spannung nicht von selbst ab. Der Reaktionswiderstand lässt sich auf verschiedene Arten vermindern – durch Erhöhung der Temperatur – durch Katalysatoren. Katalysatoren wirken wie “chemische Schalter”. Ist ein geeigneter Katalysator vorhanden, so kann eine sonst gehemmte Reaktion ablaufen. Der Katalysator verändert sich dabei nicht. In biologischen Systemen laufen Tausende von Reaktionen ab. Die meisten davon sind normalerweise gehemmt. Ihr Ablauf wird durch Katalysatoren, die Enzyme, gesteuert. Für die Synthese eines Stoffes nach einer gegebenen Reaktionsgleichung sind also zwei Bedingungen zu erfüllen: – Die chemische Spannung muss die Reaktion in die gewünschte Richtung treiben. Das erreicht man durch geeignete Wahl von Temperaturen und Drücken. – Der Reaktionswiderstand der gewünschten Reaktion muss klein, der von konkurrierenden Reaktionen groß sein. Das erreicht man durch Katalysatoren. Kernreaktionen Wenn man Kernreaktionen betrachtet, darf man den Nullpunkt des chemischen Potentials nicht mehr für jedes chemische Element frei 43 wählen. Die m -Werte der chemischen Elemente sind durch die Kernreaktionen aneinander gekoppelt. Die meisten chemischen Elemente – genauer: die mit großer und die mit kleiner Ordnungszahl – sind metastabil. Die Reaktion, d.h. der Zerfall der schweren und die Fusion der leichten, ist stark gehemmt. Kernreaktor und Fusionsreaktor dienen dazu, den Reaktionswiderstand zu vermindern. 3.9 Reversibel ablaufende Reaktionen – elektrochemische Reaktionen Brennstoffzellen , Akkumulatoren, Monozellen und die verschiedensten Arten von Batterien sind Energieumlader . Die Energie wird mit dem Träger Stoffmenge angeliefert und verlässt die Zelle mit dem Energieträger Elektrizität. Bei den meisten dieser Zellen befinden sich die Reaktionspartner von vornherein im Innern der Zelle, sie werden beim Herstellungsprozess in die Zelle eingebracht. Nur bei der Brennstoffzelle werden die Reaktionspartner ständig von außen zugeführt. Abb. 3.7 zeigt das Flussbild einer Brennstoffzelle. Die Energiebilanzgleichung ist Dm · In(R) = U · I. (3.4) Hier ist I n( R ) = n(R ) t die Umsatzrate der Reaktion. Es gibt auch das Gegenstück zur Brennstoffzelle: eine Zelle, die Energie mit dem Träger Elektrizität bekommt und mit dem Träger Stoffmenge abgibt, Abb. 3.8. Beispiele hierfür sind Elektrolysezellen und der Akkumulator während er geladen wird. Die Reaktionen, die in solchen Zellen ablaufen, egal ob vorwärts oder rückwärts, heißen elektrochemische Reaktionen. Bei einer elektrochemischen Reaktion ist die Umsatzrate In(R) fest an die elektrische Stromstärke I gekoppelt. Wir betrachten als Beispiel die Elektrolyse von Wasser. An der Anode der Elektrolysezelle läuft die Reaktion 2 H2O Æ 4 H+ + 4 e– + O2 ab, an der Kathode 4 H+ + 4 e– Æ 2 H2. Mit jedem umgesetzten Mol fließen durch den äußeren Stromkreis 4!mol Elektronen. Nun ist für Elektronen die Ladung pro Stoffmenge gleich der negativen Faraday-Konstante: Abb. 3.7. Flussbild einer Brennstoffzelle QElektron - e C = = - F = -9, 6 ⋅10 4 n Elektron t mol Pro mol Reaktionsumsatz fließen also 4!·!9,6!·!104 C durch den Stromkreis, d.h. I = 4 · F · In(R) Für andere Reaktionen steht statt der 4 eine andere kleine ganze Zahl z: I = z · F · In(R) (3.5) Abb. 3.8. Flussbild einer Elektrolysezelle 44 Wir setzen (3.5) in die Energiebilanzgl eichung (3.4) ein und erhalten: Dm = z · F · U. (3.6) Diese Gleichung sagt uns, dass sich die chemische Spannung bestimmen lässt, indem man eine elektrische Spannung misst. Falls die chemische Spannung bekannt ist, kann man mit Hilfe von Gleichung (3.6) die elektrische Spannung der entsprechenden elektrochemischen Zelle berechnen. So ergibt sich für die Wasserstoff-Sau erstoffBrennstoffzelle: U= Dm 474, 36 ⋅ 10 3 G = = 1, 24V 4 F 4 ⋅ 9, 6 ⋅ 104 C/mol 3.10 Irreversibel ablaufende Reaktionen – die Entropiebilanz chemischer Reaktionen Die meisten chemischen Reaktionen laufen frei ab: Die ganze Energie, die beim Reaktionsablauf abgegeben wird, wird zur Entropieproduktion verwendet. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Kohle, Heizöl, Benzin oder Erdgas in Kraftwerken oder Hausheizungen verbrannt wird. Die Energiebilanzgleichung lautet: Dm · In(R) = T · IS erz. Die erzeugte Entropie lässt sich also berechnen nach Dm ⋅ In ( R ) I S erz = T Man könnte nun erwarten, dass es bei jeder frei ablaufenden Reaktion “warm wird”, d.h. dass von den Reaktionsprodu kten Entropie abgegeben wird. Das ist aber durchaus nicht immer der Fall. Wir nehmen noch einmal an, es werde bei einer bestimmten Reaktion keine Entropie erzeugt (so wie es in einer idealen elektrochemisch en Zelle der Fall ist). Bei der Reaktion verschwinden die Ausgangsstoffe, und die Endstoffe entstehen. Die Ausgangsstoffe enthalten eine bestimmte Menge Entropie, und diese muss von den Endstoffen übernommen werden. Zu dieser Entropiemenge gehört nun aber im Allgemeinen bei den Ausgangsstoffen eine andere Temperatur als bei den Endstoffen. Bei manchen Reaktionen ist die Temperatur der Endstoffe niedriger, bei anderen ist sie höher als die der Ausgangsstoffe. Läuft nun die Reaktion frei, d.h. völlig irreversibel, so entsteht neue Entropie. Diese erhöht die Temperatur der Reaktionsprodukte. Es gibt nun aber Reaktionen, deren Reaktionsprodu kte bei reversibler Prozessführung eine so tiefe Temperatur haben, dass die bei irreversibler Prozessführung erzeugte Entropie nicht ausreicht, um die Reaktionsprodukte auf die Ausgangstemperatur zurückzubringen. Wenn man eine solche Reaktion bei konstanter Temperatur führen will, muss man also Entropie zuführen. Man nenn diese Reaktionen endotherm. Reaktionen, bei denen Entropie abgegeben wird, heißen exotherm. Also: Auch bei endothermen Reaktionen wird Entropie erzeugt. Nur haben die Reaktionsprodukte ein so großes Fassungsvermögen für Entropie, dass der großen Entropiemenge nur eine relativ niedrige Temperatur entspricht. 45 Ein Beispiel für eine endotherme Reaktion ist Ba(OH)2 · 8 H2O + 2 NH4NO3 Æ 2 NH3 + 10 H2O + Ba(NO3)2 Ba(OH)2 · 8 H2O und NH4NO3 sind kristalline Feststoffe. Die Reaktionsprodukte bilden eine wässrige Lösung. Die niedrige Temperatur der Produkte lässt sich leicht verstehen: Das Kristallwasser des Bariumhydroxids verwandelt sich in gewöhnliches, flüssiges Wasser. Dies ist eine Art Schmelzprozess, und zum Schmelzen wird bekanntlich Entropie gebraucht. 47 4. Gibbssche Fundamentalform, Gibbsfunktion, Gleichgewicht 4.1 System und Zustand Die Physik beschreibt die realen Objekte auf abstrakte Art: durch die Beziehung zwischen den physikalischen Größen des Objekts. Um eine gewünschte Klasse von Vorgängen zu beschreiben, muss man daher als erstes die Variablen wählen, die das Gewünschte leisten. Zur Beschreibung eines Kondensators z.B. wählt man die Variablen Q, U, E (Energie), E (elektrische Feldstärke), etc. Man wählt normalerweise nicht S, T , p oder H (magnetische Feldstärke), denn man kommt ohne sie aus. Dass man bestimmte Variablen nicht braucht, kann verschiedene Gründe haben: entweder weil diese Variablen während der interessierenden Prozesse konstant sind, oder weil ihre Werte keinen Einfluss auf die Werte der interessierenden Variablen haben. Wenn wir in Zukunft von den Variablen eines Systems sprechen, meinen wir nur die uns interessierenden Variablen. Wir sagen, ein System befinde sich in einem bestimmten Zustand, wenn alle Variablen einen bestimmten Wert haben. Unter System im strengeren Sinne verstehen wir nicht mehr das Objekt, sondern die Menge aller Zustände. Bereits die Wahl der Variablen enthielt Willkür. Was wir als System bezeichnen, enthält nun noch mehr Willkür, denn wir können die Menge der betrachteten Zustände beliebig einschränken. Man tut zwar so, als meine man mit dem System “Kondensator” alle die Zustände, die durch die Beziehung Q = C · U festgelegt sind. Bei realistischer Betrachtung wird man sich aber auf einen winzigen Ausschnitt dieser Zustandsmannigfaltigkeit beschränken, denn auch der beste Kondensator verträgt keine beliebig hohen Spannungen. 4.2 Die gibbssche Fundamentalform Wir hatten gesehen, dass sich ein Energiestrom stets beschreiben lässt durch einen Ausdruck der Form P = x IX Im Allgemeinen sind mehrere mengenartige Größen an einem Energiestrom beteiligt. Wir betrachten zunächst nur Energieströme mit einem einzigen “Energieträger”. Wir lassen Energie in ein System hineinfließen, sodass sich die Energie im System anhäuft. Wir wollen die Energieänderu ng des Systems beschreiben. Mit der Größe X kann dabei zweierlei passieren. Entweder sie häuft sich im System an (so wie die Energie), oder sie fließt durch das System hindurch und lädt im System die Energie ab. Wir betrachten nacheinander verschiedene Realisierungen der Beziehung P = x IX, d.h. Energietransporte mit verschiedenen Energieträgern X. 1. Energiezufuhr mit dem Träger Entropie Ein Körper wird erwärmt, Abb. 4.1. In den Körper fließt ein Energiestrom der Stärke P = T · IS Abb. 4.1. Energie - und Entropie inha lt des Körpers nehmen zu. 48 hinein. Mit den Bilanzgleichungen P = dE/dt und IS = dS/dt folgt dE dS =T dt dt und daraus dE = T dS. (4.1) Diese “Differentialform ” sagt uns, um wie viel sich die Energie eines Körpers ändert, wenn ihm die Entropiemenge dS zugeführt wird. 2. Energiezufuhr mit dem Träger Impuls a) Mit Impulsanhäufung Ein Fahrzeug wird beschleunigt, Abb. 4.2. In das Fahrzeug fließt ein Energiestrom der Stärke P=v·F hinein. Mit den Bilanzgleichungen P = dE/dt und F= dp/dt folgt dE dp =v dt dt und daraus dE = v dp. (4.2) Die Beziehung sagt uns, um wie viel sich die Energie eines Körpers ändert, wenn ihm die Impulsmenge dp zugeführt wird. Abb . 4.2. Ene rgie - und Imp ulsi nhal t des Fah rzeu gs nehmen zu. b) Ohne Impulsanhäufung Eine Feder wird gespannt, Abb. 4.3. In die Feder fließt ein Energiestrom der Stärke P=v·F hinein. Der Impuls häuft sich in der Feder nicht an, er fließt nur hindurch. Mit der Bilanzgleichung für die Energie P = dE/dt und mit v = ds/dt wird dE ds =F dt dt Abb. 4.3. Der Energieinhalt der Feder nimmt zu, und die Feder verlängert sich. Abb. 4.4. Der Energieinhalt des Gases nimmt zu, und das Volumen nimmt ab. und daraus dE = Fds. (4.3) Eine Variante hiervon zeigt Abb. 4.4. Hier wird die Energie in dem Gas in einem Zylinder gespeichert. Wir drücken die Kraft F und die Verschiebung ds durch den Druck p und die Volumenänderung dV aus: F = – A · p und ds = (1/A) · dV, und erhalten dE = – p dV. (4.4) Das Minuszeichen drückt aus, dass die Energie mit abnehmendem Volumen zunimmt. 3. Energiezufuhr mit dem Träger Stoffmenge In einen Behälter fließt Energie mit einem Stoffstrom hinein, Abb. 4.5. Da jeder Stoff auch Entropie trägt, ist die Energiestromstärke 49 P = m · In + T · IS. Sorgt man dafür, dass die Entropie gleich wieder abfließt, so erhält man Hilfe der Bilanzgleichungen P = dE/dt und I n= dn/dt für Energie bzw. Stoffmenge dE dn =m dt dt und daraus dE = m dn. (4.5) 4. Energiezufuhr mit dem Träger Elektrizität Ein Kondensator wird geladen, Abb. 4.6. Zum Kondensator fließt eine Energiestrom der Stärke P = U · I. Die Elektrizität häuft sich zwar netto im Kondensator nicht an. Für die Ladung Q einer einzigen Platte gilt aber I = dQ/dt . Zusammen mit der Bilanzgleichung für die Energie folgt Abb. 4.5. Die Ene rgie - und die Stoffm enge im Behälter nehmen zu. dE dQ =U dt dt und daraus dE = U dQ. (4.6) Die Beziehungen (4.1) bis (4.6) haben alle dieselbe Gestalt dE = x dX. Wir nennen die Größen X extensive Größen und die Größen x intensive. Zu einer bestimmten extensiven gehört immer eine bestimmte intensive Größe. Man sagt, die beiden Größen sind zueinander konjugiert, genauer: energiekonjugiert. Bei den betrachteten Prozessen änderte sich jeweils nur eine einzige extensive Größe. Im Allgemeinen muss man damit rechnen, dass mehrere extensive Größen ihren Wert gleichzeitig ändern: dE = T dS – p dV + m dn + v dp + … Das System kann natürlich auch mehrere unabhängige Variablen S1, S2,… oder V1, V2,…etc. haben. Dann hat der Ausdruck noch mehr Terme. Diese Beziehung zwischen den Differentialen dE und dS , dV, dn , dp,…heißt die gibbssche Fundamentalform des betrachteten Systems. Sie hat so viele Terme wie das System unabhängige Variablen hat. 4.3 Gibbsfunktionen Die gibbssche Fundamentalform für ein System laute dE = T dS – p dV + m dn + ... Gibt man jeder der extensiven Variablen S , V , n ,… einen festen Wert, so hat auch E einen festen Wert. E ist also eine Funktion der extensiven Variablen E = E(S, V, n,…) Abb. 4.6. Die Energie im Kondensator und die elek tris che Lad ung auf eine r sein er Plat ten nehm en zu. 50 Diese Funktion charakterisiert das System vollständig. Zwei Systeme, bei denen diese Funktionen gleich sind, sind im Sinne der Physik gleiche Systeme. Man nennt eine solche Funktion eine Gibbsfunktion. In Tabelle 4.1 sind die Gibbsfunktionen einiger einfacher physikalischer Systeme aufgelistet. System Kondensator Kondensator mit variablem Plattenabstand extensive Gibbssche Variable Fundamentalform Q Q, x Gibbsfunktion Q2 + E0 2C dE = U dQ E(Q ) = dE = U dQ – F dx E(Q , x ) = Q2 x + E0 2ee 0 A Feder x dE = – F dx E( x ) = D 2 x + E0 2 Massenpunkt p dE =v dp E( x ) = p2 + E0 2m Tabelle 4.1 Nur für sehr wenige Systeme ist die Gibbsfunktion als analytischer Ausdruck bekannt. Es gibt für jedes System noch andere Gibbsfunktionen als E = E(S, V, n,…). Sie sind zu E = E(S, V , n ,…) äquivalent und können daraus (durch Legendretransformation) gewonnen werden. Die Gibbsfunktionen der Thermodynamik heißen thermodynamiName Zusammenhang mit der Energie Gibbsfunktion Energie E E = E(S, V, n) Enthalpie H=E+p·V H = H(S, p, n) freie Energie F=E–T·S F = F(T, V, n) freie Enthalpie G=E+p·V–T·S G = G(T, p, n) Hamiltonfunktion E E = E(p, q) Lagrangefunktion L=–E+p·v L = L(v, q) Tabelle 4.2 sche Potentiale. Gibbsfunktionen der Mechanik sind die Hamiltonfunktion und die dazu äquivalente Lagrangefunktion. Tabelle 4.2 gibt die Definitionen der wichtigsten Gibbsfunktionen wieder. 4.4 Die Zerlegung von Systemen Die Gibbsfunktion E = E (X1, X 2,…Xn) ist im Allgemeinen eine sehr komplizierte Funktion der Variablen X 1, X 2,…Xn des Systems. Es kommt aber vor, dass die Funktion, wenigstens in gewissen Wertebereichen der Variablen, eine einfache Struktur annimmt: Manche Gibbsfunktionen zerfallen in “variablenfremde” Terme: 51 E = EA(X1, X2,…Xk) + EB(Xk+1,…Xn) In diesem Fall ist nicht nur dE ein vollständiges Differential, sondern auch dE A und dE B einzeln. Das durch E (X1, X 2,…Xn) beschriebene System verhält sich wie zwei voneinander unabhängige Systeme. Wir sagen, es ist zerlegbar. Die einzelnen variablenfremden Terme haben oft eigene Namen. Wir betrachten als Beispiel einen Kondensator, der bewegt und erhitzt, und natürlich auch geladen werden darf. Seine Variablen sind also p, S und Q, seine gibbssche Fundamentalform ist also dE = v dp + T dS + U dQ Die Gibbsfunktion des Kondensators ist p 2 Q2 + + E0 (S) 2m 2C = E1 ( p ) + E2 (Q) + E0 (S ) E( p, S , Q) = Jeder der drei Terme hängt nur von einer einzigen Variable ab. Man nennt die Terme E1 = kinetische Energie E2 = elektrische Feldenergie E0 = innere Energie Manchmal kommt die Zerlegbarkeit eines Systems einfach dadurch zustande, dass es aus räumlich getrennten Teilsystemen besteht, Abb. 4.7. Die Gibbsfunktion des Systems im gestrichelten Kasten ist Q2 D 2 + x + E0 2C 2 Oft stellt die Zerlegbarkeit nur eine Näherung dar. So ist die Zerlegung in kinetische und innere Energie nur in nichtrelativistisc her Näherung möglich. Die relativistische Gibbsfunktion eines Körpers lautet: E(Q, x) = 2 2 Abb. 4.7. Das System im gestrichelten Kasten ist triv ialer wei se zerl egba r: Es bes teht aus zwe i räum lich voneinander getrennten Teilsystemen. a 2 E( p, S ) = c p + E 0 ( S ) Nur für c|p|<< E zerfällt sie in p2 + E0 ( S ) 2m Wir wollen noch zwei Systeme miteinander vergleichen, Abb. 4.8, die dieselben Variablen, und damit dieselbe gibbssche Fundamentalform haben, nämlich dE = U dQ – F dx, von denen aber das eine zerlegbar ist (Abb. 4.8a) und das andere nicht (Abb. 4.8b). Wir beginnen mit dem ungekoppelten System. Die Gibbsfunktion ist E( p, S ) = Q2 + m ⋅ g ⋅ x + E0 2C Wir berechnen das Differenzial dE: E(Q, x) = b Abb . 4.8. Zw ei Sys tem e mit ders elbe n Gib bss chen Fundamentalform. Das eine (a) ist zerlegbar, das andere (b) nicht. 52 dE = Q dQ + m ⋅ g ⋅ dx C Vergleich mit der gibbsschen Fundamentalform liefert Q und F = - m ⋅ g C Und nun das gekoppelte System. Seine Gibbsfunktion ist U= E(Q, x) = Q2 x + E0 2e 0 A Daraus folgt dE = Qx Q2 dQ + dx e0 A 2e 0 A und durch Vergleich mit der gibbsschen Fundamentalform: U= Qx e0 A und F = - Q2 2 e0 A Während im ersten Fall jede intensive Variable nur von der zu ihr konjugierten extensiven abhängt, U= U(Q) F = sogar konstant haben wir im zweiten eine Kopplung zwischen den Variablen der beiden Terme der gibbsschen Fundamentalform: U = U(Q,x) F = F(Q) 4.5 Energieformen Der Name der physikalischen Größe Energie wird oft mit Adjektiven oder Bestimmungswö rtern versehen. So spricht man von kinetischer, potentieller, elektrischer, chemischer und freier Energie oder von Kern-, Wärme-, Ruh- und Strahlungsenergie. Dieser Einteilung der Energie in verschiedene “Energieformen” liegt aber kein einheitliches Prinzip zu Grunde, sondern sie erfolgt nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. Manche der Attribute sollen einfach das System oder den Gegenstand kennzeichnen, in dem die Energie enthalten ist. So meint man mit Strahlungsenerg ie nichts anderes als die (gesamte) Energie einer ins Auge gefassten Strahlung – genauso, wie man unter der Elektronenladun g die Ladung eines Elektrons und unter der Sonnenmasse die Masse der Sonne versteht. In den meisten Fällen hat man aber beim Benennen der Energieform eine weitergehende Absicht. Das Bedürfnis danach, die Energie in Formen einzuteilen, ergab sich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, unmittelbar nach der Einführung des Energiebegriffs selbst. Man schloss damals auf die Existenz einer neuen physikalischen Größe, obwohl man kein allgemeines Kennzeichen der Größe, keine allgemeine Messvorschrift für ihre Werte kannte. Die Energie manifestierte sich in den verschiedensten Systemen und Prozessen auf ganz unterschiedliche Art. Dass man es in den verschiedenen Fällen überhaupt mit derselben Größe zu tun hatte, schloss man daraus, dass sich bei Prozessen bestimmte Kombinationen anderer physikalischer Größen in einem ganz bestimmten Verhältnis änderten. Es existierten sozusagen feste Wechselkurse zwischen diesen Größenkombinationen, die so genannten Äquiva- 53 lente. Der bekannteste dieser Wechselkurse war das “mechanische Wärmeäquivalent”. Es war eine große wissenschaftliche Leistung, diese Größenkombinationen als Manifestationen einer einzigen, neuen physikalischen Größe zu erkennen. Die neue Größe hatte einerseits die schöne Eigenschaft, dass sie sehr allgemeiner Natur war. Sie spielte in den verschiedensten Gebieten der Physik eine Rolle. Sie schaffte eine Verbindung zwischen den verschiedenen physikalischen Teildisziplinen. Andererseits hatte sie aber einen Makel: Sie gab sich nicht immer auf dieselbe Art zu erkennen, so wie man es von einer ordentlichen physikalischen Größe erwartet hätte. Sie hatte keine Eigenschaft, an der man sie immer erkennen, über die man ihren Wert in jedem Fall bestimmen konnte. Aus diesem Grunde sahen auch manche Physiker in ihr nicht mehr als eine mathematische Hilfsgröße. Auf jeden Fall erschien es aber vernünftig, die verschiedenen Größenkombina tionen, die die verschiedenen Gewänder der Energie darstellten, als Energieformen zu bezeichnen. Die Energie offenbarte sich nicht immer auf dieselbe Art, sondern immer nur in der einen oder anderen “Form”. Dies war jedenfalls der Stand der Dinge bis etwa zur Jahrhundertwende. Wir werden später sehen, dass, im Lichte der Physik des 20. Jahrhunderts, der Begriff der Energieform überflüssig ist, genauso überflüssig, wie es etwa der Begriff der Impuls- oder Entropieform wäre. Da sich aber der Begriff der Energieform bis heute erhalten hat, wollen wir zunächst noch ein paar Bemerkungen zu den physikalischen Grundlagen der Einteilung der Energie in Formen machen. Bei der Einteilung der Energie in Formen muss man beachten, dass zwischen zwei Einteilungsverfahren zu unterscheiden ist. 1) Nach dem einen Verfahren werden Energieänderun gen und Energieströme klassifiziert. Wir haben gesehen, dass jeder Energiestrom begleitet ist vom Strom einer anderen mengenartigen Größe. Je nach dem, um welche Größe es sich handelt, spricht man von einem Energietransport in der einen oder anderen Form,Tabelle 4.3. 2) Nach dem anderen Verfahren ordnet man gespeicherter Energie, d.h. der in einem System oder Teilsystem enthaltenen Energie, einen Namen zu. Wir hatten das Verfahren im vorigen Abschnitt schon kurz angesprochen. Wenn die Gibbsfunktion eines Systems in variablenfremde Summanden zerfällt, so gibt man den Summanden oft eigene Namen wie kinetische Energie, potentielle Energie, Spannenergie (einer Feder) und innere Energie. Es ist sehr ungeschickt, die Produkte beider Einteilungsverfa hren mit demselben Namen, nämlich Energieformen, zu bezeichnen. Tatsächlich werden auch die beiden Typen von Energieformen in der Literatur oft durcheinander gebracht.. Der klarste Umgang mit dem Problem besteht wohl darin, dass man die einzelnen Namen ganz vermeidet. Tatsächlich ist der Begriff der Energieform aus heutiger Sicht nicht nur überflüssig, sondern auch irreführend. Von Formen der Energie zu sprechen legt nahe, dass es sich bei diesen Formen um verschiedene physikalische Größen handelt, mit der merkwürdigen Eigenschaft, dass man eine in die andere umwandeln kann. Es legt auch nahe, dass die Energie in verschiedenen Formen verschiedene Eigenschaften hat. Dies ist natürlich nicht der Fall. Seitdem wir die spezielle Relativitätstheorie kennen, wissen wir, dass die Energie eine eigenständige physikalische Größe ist, und nicht nur eine abgeleitete Rechengröße. Über Formen der Energie zu Name der Austauschform P=v·F Arbeit P = T · IS Wärme P=U·I elektrische Energie P = m · In chemische Energie Tabelle 4.3 54 sprechen ist deshalb heute genauso unbegründet, wie wenn man über verschiedene Formen der elektrischen Ladung spräche, je nachdem, ob die Ladung von Elektronen, Protonen oder Myonen getragen wird. Die Relativitätstheor ie sagt uns, welche allgemeinen Kennzeichen die Energie hat. Aus der Energie-Masse- Äquivalenz folgt nämlich, dass die Energie genau diejenigen Eigenschaften hat, die wir von der Masse kennen: Schwere und Trägheit. Um die verschiedenen Energietranspor te in Tabelle 4.3 voneinander zu unterscheiden, braucht man nicht von verschiedenen Formen der Energie zu sprechen; es genügt anzugeben, welche mengenartige Größe neben der Energie noch übertragen wird. Statt z.B. von Energie in Form von Wärme zu sprechen, sagt man einfach, dass neben dem Energiestrom noch ein Entropiestrom fließt. Oder man bezeichnet, wie wir es hier schon oft getan haben, die begleitende Größe als den Energieträger. Auch für die Summanden der Gibbsfunktion ist der Name Energieform eher irreführend. Es handelt sich schließlich bei diesen Summanden immer um Teilsysteme. Wenn man sich auf einen solchen Summanden beziehen will, ist es fast immer klarer, das Teilsystem zu nennen, auf den sich der Summand bezieht, statt die Energie mit einem Adjektiv zu versehen. So ist es richtiger, von der Energie des Feldes eines Kondensators zu sprechen als von der potentiellen Energie der einen Kondensatorplatte im Feld der anderen. 4.6 Zustandsgleichungen Wir bilden das Differential der Gibbsfunktion E(S, V, n,…): ∂E( S , V, n ) ∂E(S , V , n ) ∂ E( S, V , n) dS + dV + dn ∂S ∂V ∂n Der Vergleich mit dE = T dS – p dV + m dn liefert dE = ∂E( S , V, n ) = T (S , V , n ) ∂S ∂E( S , V, n ) = - p ( S, V, n ) ∂V ∂E( S , V, n ) = m ( S, V, n ) ∂n Die Kenntnis der drei Funktionen T = T (S, V , n ), p = p (S, V , n ) und m(S, V, n) ist (von einem konstanten Term abgesehen) äquivalent zur Kenntnis der Gibbsfunktion. Man nennt diese drei Funktionen Zustandsgleichungen. Sie spielen in der Thermodynamik eine wichtige Rolle, denn oft kennt man von einem System nicht alle Zustandsgleichungen, also auch nicht die Gibbsfunktion. Für viele Zwecke ist aber die Kenntnis einer einzigen Zustandsgleichu ng ausreichend. Die Zustandsgleichungen sind nicht unabhängig voneinander. Das sieht man so: Wir bilden ∂ Ê ∂ E (S, V, n )ˆ ∂T ( S ,V , n) Á ˜= ¯ ∂V Ë ∂S ∂V 55 und ∂ Ê ∂ E( S, V, n ) ˆ ∂ p( S , V , n ) Á ˜=¯ ∂S Ë ∂V ∂S Da die linken Seiten gleich sind, muss auch gelten: ∂T ( S , V , n ) ∂p ( S, V, n ) =∂V ∂S Dies ist eine Bedingung, die die beiden Zustandsgleichungen T(S,!V,!n) und p(S,!V,!n) erfüllen müssen. Auf analoge Art erhält man die beiden folgenden Beziehungen: ∂T( S, V , n) ∂m (S, V , n) = ∂n ∂S ∂p(S, V , n ) ∂m( S, V , n) =∂n ∂V Gleichungen dieses Typs nennt man Maxwellbezieh ungen. Es gibt davon noch mehr. Wir wollen uns drei weitere Maxwellbeziehu ngen beschaffen. Wir verfahren ähnlich wie oben, bilden aber nicht das Differential von der Energie, sondern von G=E+p·V–T·S Es ist dG = ∂G( T , p, n ) ∂ G(T , p , n ) ∂G(T , p, n ) dT + dp + dn ∂T ∂p ∂n (4.1) Außerdem ist dG = d(E + pV – TS) = T dS – p dV + m dn + p dV + V dp – T!dS – S !dT = V!dp – S!!dT + m dn Der Vergleich mit Gleichung (4.1) liefert: ∂G( T , p, n ) = -S ( T , p, n ) ∂T ∂G( T , p, n ) = V ( T , p, n ) ∂p ∂G( T , p, n ) = m ( T, p , n) ∂n Wir haben hier die drei Zustandsfunktionen S = S(T,!p,!n), V!=!V(T,!p,!n) und m != m (T,!p,!n) erhalten. Auch diese sind zur Kenntnis einer beliebigen Gibbsfunktion äquivalent. Diese drei Zustandsfunktionen sind deshalb besonders beliebt, weil sie als Argumente Variablen enthalten, deren Werte im Experiment leicht vorgegeben werden können. S = S(T,!p,!n) erhält man direkt aus der Entropiekapazität bei konstantem Druck C Sp, die man leicht messen kann. Den Zusammenhang V!=!V(T,!p,!n), die so genannte thermische Zustandsgleichung, kann man auch leicht durch Messung bestimmen. Diese Funktion hat außerdem die Besonderheit, dass sie für verdünnte Systeme eine sehr einfache, universelle Form annimmt, nämlich: V (T , p , n) = R n⋅T p 56 Abb. 4.9. Die Zustandfunktionen S( p,!T) (oben) und V( p,!T) (unten) für einen Feststoff (links) und ein Gas(rechts) Hier ist R die Gaskonstante (siehe auch Abschnitt 3.2): R = 8,31441!Ct/mol. Auch die Zustandsfunktionen S = S (T,!p,!n), V !=!V(T,!p,!n) und m!= m (T,!p,!n) sind nicht unabhängig voneinander. Es gelten die Maxwellbeziehungen: - ∂S ( T, p , n) ∂V ( T, p , n) = ∂p ∂T ∂S ( T, p , n) ∂m ( T , p, n ) = ∂n ∂T ∂V ( T , p, n ) ∂m ( T , p, n ) = ∂n ∂p - (4.2a) (4.2b) (4.2c) Die Hilfsgröße G, die wir zur Herleitung benutzt haben, ist in diesen Beziehungen nicht mehr enthalten. Die Aussagen der Maxwell- 57 beziehungen sind sehr einfach, aber vielleicht manchmal überraschend. So sagt Gleichung (4.2b), dass die Änderung des chemischen Potentials mit der Temperatur, für die man zunächst sicher keine ausgeprägte Anschauung hat, bis auf das Vorzeichen einfach gleich der Änderung der Entropie mit der Menge, d.h. gleich der molaren Entropie ist. Beispiele: Feststoffe und Gase Abbildung 4.9 zeigt für festgehaltenes n die Zustandsfunktionen S(p,!T) und V( p,!T) für Feststoffe und Gase. Kondensator mit variablem Plattenabstand Das System ist nicht zerlegbar. Wir nennen den Plattenabstand x. Eine Gibbsfunktion ist: E ( x, Q ) = dE = Q 2x + E0 2ee 0 A ∂E( Q, x ) ∂E(Q, x ) dQ + dx ∂Q ∂x Der Vergleich mit der gibbsschen Fundamentalform dE = U!dQ – F dx liefert U( Q, x ) = ∂E( Q, x ) Q ⋅ x = ∂Q ee 0 A F(Q, x) = - ∂ E(Q, x) Q2 =∂x 2ee 0 A Die Zustandsfunktionen U (Q,!x) und F (Q,!x) sind nicht unabhängig voneinander, es gilt die Maxwellbeziehung: ∂ U ( Q, x) ∂ F(Q, x) =∂x ∂Q ∂ Ê Q ⋅x ˆ ∂ Ê Q2 ˆ Á ˜= Á ˜ ∂ x Ë ee0 A ¯ ∂ Q Ë 2 ee 0 A ¯ Q Q = ee0 A ee0 A Die beiden Seiten sind gleich, aber ungleich null. Die Variablen Q und x sind aneinander gekoppelt. Abb. 4.10 zeigt U (Q,!x) und U(Q,!x). Abb. 4.10. Die Zustandsfunktionen U (Q,!x) und F(Q,!x) eines Kondensators mit variablem Plattenabstand. 58 4.7 Lineare Approximation der Gibbsfunktion Der Kenntnis der Gibbsfunktion Y (X1,!X2,…!Xn) ist die Kenntnis von n Zustandsgleichu ngen äquivalent. Dabei ist mit Kenntnis nicht unbedingt gemeint, dass ein analytischer Ausdruck bekannt sein muss. Die Kenntnis kann auch in Wertetafeln oder Diagrammen bestehen. Selbstverständlich kennt man eine Gibbsfunktion oder die entsprechenden Zustandsfunktio nen eines Objekts nur in einem begrenzten Wertebereich der Variablen. Für viele Zwecke ist es ausreichend, die Zustandsfunktionen in einem sehr kleinen Wertebereich zu kennen, so dass alle Beziehungen zwischen den Variablen der Zustandsfunktionen durch lineare Abhängigkeiten approximiert werden können. Die Zustandsgleichungen seien V(T,!p) und S(T,!p). Wenn S und V für ein Wertepaar {T0,!p0} gegeben sind, also V (T0,!p0) und S(T0,!p0), so kann man Volumen und Entropie in der Nachbarschaft dieses unabhängigen Koordinatenpunktes berechnen, wenn man die Ableitungen ∂ V( T , p) ∂ V ( T, p ) ∂ S ( T, p ) ∂ S ( T, p) , , und ∂T ∂p ∂T ∂p an der Stelle {T0,!p0} kennt. Nun sind der erste und der letzte dieser Differentialquotienten auf Grund der Maxwellbeziehung (4.2a) gleich. In einer kleinen Umgebung der Stelle {T0,!p0} ist daher die Kenntnis von zwei Funktionswerten (V(T0,!p0) und S (T0,!p0)) und drei Ableitungen, d.h. fünf Zahlen, der Kenntnis der Gibbsfunktion äquivalent. Es ist zweckmäßig, die Ableitungen auf die “Größe“ des Systems zu beziehen, d.h. durch extensive Größen zu dividieren. Die so erhaltenen Koeffizienten tragen besondere Namen und sind in Tabellen aufgeführt: k=a= 1 ∂ V( T , p ) = Kompressibilität V ∂p 1 ∂ V( T , p) = thermischer Volumenausdehnungskoeffizient V ∂T cS p = 1 ∂ S (T , p) = molare Entropiekapazität n ∂T Statt der letzten dieser drei Beziehungen benutzt man häufiger cp = T ∂ S( T , p ) = molare Wärmekapazität n ∂T Selbstverständli ch lassen sich noch andere Ableitungen bilden. Insgesamt sind aber nur drei voneinander unabhängig (solange wir bei zwei unabhängigen Variablen bleiben). So lässt sich z.B. der Druckkoeffizient b= ∂p (T ,V ) = Druckkoeffizient ∂T durch die Kompressibilität und den thermischen Volumenausdehnungskoeffizienten ausdrücken: 59 b= a k Außerdem lässt sich zeigen, dass a2 k ist. Von der linearen Näherung der Zustandsfunktion m (T, p ) haben wir schon in Abschnitt (3.6) Gebrauch gemacht. CS p - CS V = V Abb. 4.11. Einfacher mechanischer “Energiewandler”. Eing ang 1 und Ausgang 2 sind über die Feder D' aneinander gekoppelt. 4.8 Kreisprozesse Wir stellen uns die Aufgabe, Energie, die mit einem Träger ankommt, auf einen anderen Träger “umzuladen”. Wir brauchen dazu ein System, dessen gibbssche Fundamentalform zwei Terme hat: dE = x1 dX1 + x2 dX2 Diese Bedingung ist aber noch nicht hinreichend dafür, dass das System ein Energieumlader ist. Die Variablen 1 müssen nämlich außerdem an die Variablen 2 gekoppelt sein. Wir betrachten zunächst ein sehr einfaches Beispiel aus der Mechanik. Das System besteht aus 2 Hebeln und 3 Federn, Abb. 4.11. Es hat die gibbssche Fundamentalform: dE = F1 dx1 + F2 dx2 Seine Gibbsfunktion lautet: E ( x1 , x2 ) = D 2 D¢ D¢¢ 2 x1 + (x1 - x2 )2 + x2 2 2 2 Man sieht, dass das System nicht zerlegbar ist. Wir wollen ihm nun Energie über den Hebel 1 (“in der Form 1”) zuführen und über Hebel 2 entnehmen. Dies kann man übersichtlich in einem Kreisprozess machen, einer Folge von 4 Teilprozessen, die das System in seinen Ausgangszustand zurückbringen. Die 4 Zustände seien A, B, C und D, Abb. 4.12. A x1 = 0 x2 = 0 F1 = 0 F2 = 0 B x1 = Dx F1 = (D + D')Dx x2 = 0 F2 = –D' Dx C x1 = Dx F1 = DDx x2 = Dx F2 = D"Dx D x1 = 0 F1 = –D' Dx x2 = Dx F2 = (D"+D')Dx A x1 = 0 x2 = 0 F1 = 0 F2 = 0 Abb. 4.12. Kreisprozess. Nach vier Schritten kehrt das System in seinen Ausgangszustand zurück. Dabei nimmt es über den Hebel 1 Energie auf und gibt über den Hebel 2 Energie ab. 60 Abb . 4.13. Der Kre isprozes s von Abb. 4.12 im F1x1- und im F2-x2-Diagramm Es ist zweckmäßig, Kreisprozesse in zwei x-X-Diagrammen darzustellen, Abb. 4.13. Der Flächeninhalt jeder der beiden geschlossenen Kurven stellt die Energie dar, die bei einmaligem Durchlaufen des Kreisprozesses zu Eingang 1 hinein- und aus Eingang 2 herausfließt. In diesem mechanischen Gebilde ist die mittlere Feder D´ für die Kopplung verantwortlich. Ohne sie wäre die Gibbsfunktion zerlegbar, und das System könnte nicht als “Energiewandler” arbeiten. Die Energie, die man bei Eingang 1 hineinsteckt, könnte man nur bei Eingang 1 wieder herausholen. Das Gerät stellte zwei voneinander unabhängige Energiespeicher dar. Als zweites Beispiel für einen Kreisprozess betrachten wir einen Kondensator mit variablem Plattenabstand. Er stellt einen elektromechanischen Energieumlader dar, Abb. 4.14. In Abb. 4.15 ist der Prozess im U-Q- und im F-x-Diagramm dargestellt. Schließlich betrachten wir als drittes Beispiel eine Wärmepumpe. Arbeitssystem ist ein Gas fester Stoffmenge, Abb. 4.16. Wir nehmen an, dass wir die Gibbsfunktion nicht kennen und verwenden statt dessen die vier empirischen Koeffizienten C Sp, C SV, a und b (wobei einer von den drei anderen abhängt). Abb. 4.17 zeigt den Kreisprozess im p-V- und im T-S-Diagramm. Die Kopplung zwischen den Variablen äußert sich darin, dass die Steigungen der T-S-Kurven für p = const und V = const verschieden sind, dass also CSp und CSV, verschieden sind. Ein Feststoff eignet sich nicht als Arbeitssubstanz für eine Wärmekraftmas chine oder eine Wärmepumpe, denn sein Volumen lässt sich praktisch nicht verändern, seine gibbssche Fundamentalform ist also dE = T dS. 4.9 Warum die Energieform Wärme nicht in einem System enthalten sein kann a b Abb. 4.18. Auf dem Weg A-B -C wird dem Gas wen iger Wär me zugeführt als auf dem Weg A-B-D. Wir hatten bereits betont, dass es ein sehr unglücklicher Griff war, als man dem Ausdruck T!dS einen eigenen Namen gegeben hat. Er heißt aber nun aber einmal Wärme, und das hat erfahrungsgemä ß zur Folge, dass man bestimmte Erwartungen an ihn knüpft, die er nicht erfüllen kann – besonders diese: “Wenn ein System Wärme aufnimmt, so muss diese, nachdem es sie aufgenommen hat, drinstecken.” Um uns davon zu überzeugen, dass dieser Satz falsch ist, betrachten wir ein Gas und bringen es auf zwei verschiedene Arten in je zwei Schritten aus einem Anfangszustand in einen Endzustand: Wir gehen von Zustand A (siehe voriger Abschnitt) einmal über B, und einmal über D in Zustand C und fragen beide Male nach der aufgenommenen Energie, Abb. 4.18. Auf dem Weg A-B-C nimmt das Gas den der schraffierten Fläche in Abb. 4.18a entsprechenden Betrag an Wärme auf, denn diese Fläche stellt gerade ∫TdS dar. Außerdem gibt es den in Abb. 4.18b schraffierten Betrag an Arbeit ab. Auf dem Weg A-D-C nimmt das Gas den der punktierten Fläche (Abb. 4.18a) entsprechenden Betrag an Wärme auf und gibt den in Abb. 4.18b punktierten Betrag an Arbeit ab. Anfangs- und Endzustand sind auf beiden Wegen gleich, die aufgenommene Wärme ist aber verschieden. Um wie viel hat die Wärme des Gases zugenommen? Offenbar eine sinnlose Frage. Das Entsprechende gilt auch für die Arbeit. 61 A + + – – Q1 x1 e0A Q = Q1 U= x = x1 Q2 F= 1 2e 0 A Auseinanderziehen der Platten bei konstanter Ladung B – – + + Q1 x2 e0A Q = Q1 U= x = x2 Q2 F= 1 2e 0 A Ladungszufuhr bei konstantem Plattenabstand C + + + + – – – – D – – – – Q2x 2 e0 A Q = Q2 U= x = x2 Q2 F= 2 2 e0 A Q2x1 e0A Q = Q2 U= x = x1 Q2 F= 2 2 e0 A Ladungsentnahme bei konstantem Plattenabstand A + + – – A p = p0 S = S0 T = T0 Entropiezufuhr bei p = const, bis T = T0 + DT ist V = V0 (1 + a DT ) B p = p0 S = S 0 + CS pD T T = T0 + DT Entropiezufuhr bei V = const, bis T = T0 + 2DT ist Vermindern des Plattenabstands bei konst. Ladung + + + + V = V0 Q1 x1 e0A Q = Q1 U= x = x1 Q2 F= 1 2e 0 A V = V0 (1 + a DT ) C p = p0 + bD T S = S 0 + CS pD T + CS VD T T = T0 + 2 D T Entropieentnahme bei p = const, bis T = T0 + DT ist V = V0 D p = p0 + bD T S = S 0 + CSV DT T = T0 + DT Entropieentnahme bei V = const, bis T = T0 ist V = V0 A p = p0 S = S0 T = T0 4.14. Kreisprozess mit einem Kondensator mit variablem Plattenabstand 4.16. Kreisprozess mit einem Gas 4.15. Der Kreisprozess von Abb. 4.16 im U- Q- und im F -xDiagramm 4.17. Der Kreisprozess von Abb. 4.18 im p-V -und im T-S-Diagramm 62 dE = (–p1 + p2) dV +… Sinnvoll dagegen sind alle Fragen nach den Werten physikalischer Größen: Um wie viel hat die Entropie oder das Volumen zugenommen? Um wie viel haben sich die Werte von Temperatur und Druck geändert? Bei mengenartigen Größen darf und soll man die Frage sogar so formulieren: “Wie viel davon steckt in dem System, wie viel ist darin enthalten?” 4.10 Gleichgewichte dE = (U1 – U2) dQ +… dE = (T1 – T2) dS +… Abb. 4.19. Drei Systeme, die aus aneinander gekoppelten Teilsystemen bestehen Abb . 4.20 . Die Sys tem e von Abb . 4.19 mit je eine m Dissipator Wir betrachten zwei Systeme 1 und 2, deren gibbssche Fundamentalformen einen Term h !dY gemeinsam haben, d.h. es ist dE 1!= h1!dY1 +… und dE 2!= h 2!dY2 +…. Die beiden Systeme seien nun so aneinander gekoppelt, dass die Summe der extensiven Variablen konstant ist: Y1 + Y2 = const fi dY1 = – dY2 = dY Die gbbsschei Fundamentalform des Gesamtsystems ist daher: dE = = (h1!– h2)!dY +…. Abb. 4.19 zeigt drei Beispiele. Wir wollen nun Prozesse betrachten, bei denen dE!!0. Der Gleichgewichtszustand ist jetzt der Zustand maximaler Entropie. Gleichgewichte haben eine besondere Bedeutung für die Zahl der unabhängigen Variablen eines Systems. Das System in Abb. 4.22a hat zwei unabhängige Variablen: Uoben und Uunten. In Abb. 4.22b sind die beiden Kondensatoren immer im elektrischen Gleichgewicht, das System hat nur noch eine unabhängige Variable: Uoben = U unten. Von dieser Eigenschaft machen wir ständig Gebrauch, etwa wenn wir für einen Kondensator nur eine einzige Spannung angeben und nicht 2 oder 100, Abb. 4.22c. Auch wenn wir sagen, das Gas in einem Behälter habe die Temperatur T, machen wir davon Gebrauch, dass alle räumlichen Bereiche des Gases miteinander im thermischen und im Druckgleichgewicht stehen. Manchmal befinden sich mehrere Teilsysteme am selben Ort, und sie sind entweder im Gleichgewicht, oder sie sind es nicht: So befinden sich Elektronen und Phononen (Gitterschwingungen) eines Festkörpers normalerweise im thermischen Gleichgewicht, der Festkörper hat eine einzige Temperatur. Man kann aber die Teilsysteme aus dem Gleichgewicht bringen, sodass sie verschiedene Temperaturen haben. Die Existenz von Gleichgewichte n ist der Grund dafür, dass man den Zustand eines Gases, das aus 1023 Molekülen besteht, und entsprechend viele Variablen hat, mit nur 3 unabhängigen Variablen, nämlich S, V und n beschreiben kann. elektrisches Gleichgewicht: dQ1 = – dQ2 U1 = U2 chemisches Gleichgewicht: dn1 = – dn2 m1 = m2 Impulsgleichgewicht: dp1 = – dp2 v1 = v2 Kräftegleichgewicht: dx1 = – dx2 F1 = F 2 magnet. Gleichgewicht: a b dF1 = – dF2 I1 = I2 c thermisches Gleichgewicht: dS1 = – dS2 + dSerz T1 = T2 Druckgleichgewicht: Abb . 4.22 . (a) Sys tem mit zwe i unab häng igen Var iable n. (b) Die beid en Kon dens atoren sind immer im elektrischen Gleichgewicht. (c) Die Teile des Kondensators sind miteinander im Gleichgewicht dV1 = – dV2 p1 = p2 Abb . 4.21 . Ver sch iede ne Art en von Gle ichg ewi chten 64 4.11 Fließgleichgewichte Beim Einstellen eines gewöhnlichen Gleichgewichts wird Entropie erzeugt, und zwar insgesamt so viel, wie es das System zulässt: Ist das Gleichgewicht erreicht, so ist keine weitere Entropieerzeugu ng möglich, und die Entropieproduktionsrate SS wird null. Es passiert nun aber auch häufig, dass ein System Zustände durchläuft, und schließlich in einem Zustand zum Stillstand kommt, in dem SS nicht gleich null ist. Mit “zum Stillstand kommen” ist gemeint, dass alle Variablen des Systems zeitlich konstante Werte annehmen. Einen solchen Zustand nennt man einen stationären Zustand oder ein Fließgleichgewicht. Fließgleichgewicht: Variablenwerte sind zeitlich konstant, aber SS ≠ 0 Da die Entropieproduk tionsrate ungleich null ist, muss dem System ständig Energie zugeführt werden: P = T · SS Ein Gleichgewicht stellt sich immer zwischen Teilsystemen ein. Wir betrachten wieder den einfachsten Fall, nämlich den, dass nur zwei Teilsysteme vorliegen, Abb. 4.25: Zwei Widerstände sind hintereinander an ein Netzgerät angeschlossen, das eine konstante Spannung U0 liefert. Wenn der Schalter geschlossen wird, verteilt sich die Spannung auf die Widerstände: U0 + U1 + U2 = 0 (4.3) Sie verteilt sich bekanntlich so, dass gilt U1 U2 = R1 R2 Abb. 4.23. Wenn der Schalter geschlossen wird, verteilt sich die Spannung U 0 so auf die Widerstände, dass U1/R1 = U2/R2 gilt. (4.4) Aus den Gleichungen (4.3) und (4.4) zusammen folgen die Werte von U1 und U2: R1 U1 = U0 R1 + R2 (4.5) R2 U2 = U0 R1 + R2 Nun kann die Aufteilung der Spannung U 0 auf die beiden Widerstände als ein Prozess betrachtet werden. In einem realen Stromkreis sind nämlich die Kapazitäten zwischen den verschiedenen Teilen des Stromkreises nicht null, und wir können ein genaueres Bild des Stromkreises zeichnen, indem wir zwei dieser Kapazitäten berücksichtigen, Abb. 4.26. Die Verteilung von U 0 über R 1 und R 2 ist jetzt zeitabhängig: U0 + U1(t) + U2(t) = 0 Die stationären Spannungen stellen sich mit der Zeitkonstante Abb. 4.24. Realistischere Darstellung des Stromkreises von Abb. 4.23. Zwei der auftretenden Kapazitäten sind eingezeichnet. Man sieht hier, dass die Werte der Spannungen an den beiden Widerständen das Ergebnis eines Gleichgewichtseinstellvorgangs sind. C1 + C2 1 1 + R1 R2 ein. Es gilt also U1 (t = •) U2 ( t = •) = R1 R2 65 Der Zustand, der für t Æ • erreicht wird, ist ein Fließgleichgewi cht, denn alle physikalischen Größen haben zeitlich konstante Werte, und in den Widerständen wird Entropie produziert. Man stellt nun fest, dass die in beiden Widerständen zusammen dissipierte Energie, und damit die insgesamt erzeugte Entropie, im Fließgleichgewichtszustand einen Minimalwert erreicht, und zwar im Vergleich zu den Zuständen, die beim Einstellen des Gleichgewichts durchlaufen werden können. Wir wollen diese Behauptung beweisen. Die in den beiden Widerständen zusammen dissipierte Energie pro Zeit ist P= U12 U2 2 + R1 R2 Mit Gleichung (4.3) erhält man P= U12 (U0 + U1 )2 + R1 R2 Um den speziellen Wert U 1min zu erhalten, für den P einen Minimalwert annimmt, setzen wir dP/dU1!=!0: 2U1 min 2(U0 + U1min ) + =0 R1 R2 und wir erhalten U1 min = - R1 U0 R1 + R2 und mit (4.3) U2 min = - R2 U0 R1 + R2 also dieselben Ausdrücke wie (4.5). Das Ergebnis lässt sich verallgemeinern auf mehr als zwei hintereinander geschaltete Widerstände: Eine gegebene elektrische Spannung verteilt sich so auf hintereinander geschaltete Widerstände, dass die gesamte Entropieproduktion minimal wird. Analoge Sätze gelten auch für andere “Antriebsgrößen”. Außerdem findet man durch eine ganz ähnliche Überlegung Ein elektrischer Strom gegebener Stärke verteilt sich so auf parallel geschaltete Widerstände, dass die gesamte Entropieproduktion minimal wird. Auch hier liegt ein Fließgleichgewi cht vor. Und auch diese Aussage lässt sich auf andere Ströme übertragen. 67 5. Spezielle Systeme und Prozesse 5.1 Das ideale Gas 5.1.1 Die thermische Zustandsgleichung des idealen Gases Für ein verdünntes Gas findet man experimentell den Zusammenhang zwischen p, V, n und T: p·V=R·n·T mit R = 8,31441 J/(mol · K) Dieser Zusammenhang (siehe auch Abb. 4.6) heißt die thermische Zustandsgleichung des idealen Gases. Wegen ihres universellen Charakters nennt man sie auch kurz die Gasgleichung. Jeder Stoff kann in Zustände gebracht werden, in denen er die Gasgleichung erfüllt, und zwar auf zwei Arten: – durch hinreichende Verdünnung; – durch hinreichend hohe Temperatur. Auf beide Arten erreicht man, dass die mittlere Wechselwirkungsenergie der Teilchen klein wird gegen ihre mittlere kinetische Energie. Erhöhen der Temperatur kann allerdings zur Folge haben, dass der Stoff zerfällt (z.B. werden Atome ionisiert), und dass damit n zunimmt. Das ändert zwar nichts daran, dass der Stoff die Gasgleichung erfüllt – nur hat man dann bei höherer Temperatur nicht mehr denselben Stoff vor sich wie bei tiefer. Die verschiedenen in der Gasgleichung enthaltenen Abhängigkeiten wurden von verschiedenen Personen entdeckt und tragen verschiedene Namen: 1 V Boyle-Mariottesches Gesetz (Robert Boyle 1627 1691, Edmé Mariotte 1620 - 1684) V µT Gay - Lussacsches Gesetz, wurde aber nicht von Gay - Lussac (1778 - 1850) entdeckt, sondern von Amontons (1663 - 1705) V µn Gesetz von Avogadro (Graf Amedeo di Quaregna e di Cerreto 1776 - 1856) pµ Avogadros Entdeckung bestand nicht einfach darin, dass für einen Stoff das Volumen proportional zur Menge ist – das ist wegen der Homogenität der Gase trivial, – sie bestand in der Erkenntnis, dass der Proportionalitätsfaktor nur von p und T , nicht aber von der Natur des Gases abhängt. Wir finden für das Volumen eines idealen Gases der Menge 1!mol unter Normalbedingungen, d.h. bei p!=!101!325!Pa und T!=!273,15!K V=R n ⋅ T 8, 31441 J/(mol ⋅ K) ⋅1 mol ⋅ 273, 15 K = = 0, 022414 m 3 p 101 325 Pa Mit r n!= n/V kann man die Gasgleichung auch so schreiben, dass sie keine mengenartigen Größen, sondern nur noch lokale Größen enthält: p = rn · R · T Einige der in Abschnitt 4.7 eingeführten Koeffizienten können aus der Gasgleichung berechnet werden: 68 k=- 1 ∂ V( T , p ) 1 RnT 1 = = V ∂p V p2 p a= 1 ∂ V( T , p ) 1 Rn 1 = = V ∂T V p T b= ∂ p( T , V ) Rn p = = ∂T V T Für ideale Gase ist also b =!a!·!p. Man verifiziert leicht, dass die allgemeine Beziehung b =!a/k erfüllt ist. Aus CS p - CS V = Va 2 k folgt CS p - CS V = R n T 5.1.2 Die p- und die V-Abhängigkeit von Energie, Entropie und chemischem Potential bei T = const Wir untersuchen die Größen E , S und m als Funktion von p und von V bei fester Temperatur und bei fester Menge. Als unabhängige Variablen benutzen wir daher V, T und n oder p , T und n . Der Übersichtlichkeit wegen lassen wir in Ausdrücken wie E (T,!V,!n) manchmal die Variable n weg, wir schreiben also einfach E(T,!V). Die Energie als Funktion vom Volumen und vom Druck bei konstanter Temperatur Wir beginnen mit dem Beweis der Beziehung ∂ S (T , V ) ∂ p(T , V ) = ∂V ∂T (5.1) denn diese wird später gebraucht. Die Gleichung sagt uns, dass die Zustandsfunktionen S (T,!V) und p(T,!V) nicht unabhängig voneinander sind. Wir gehen zum Beweis genauso vor, wie beim Beweis der anderen Maxwellbeziehungen in Abschnitt 4.5. Wir führen zunächst die Hilfsgröße “freie Energie” F=E–T·S ein, und bilden dF = dE – T dS – S dT = (T dS – p dV)!– T dS – S dT = – p dV!– S dT Wird F als Funktion von T und V dargestellt, so ist dF = ∂ F( T , V ) ∂ F( T , V ) dV + dT ∂V ∂T Vergleich mit dF = – p dV!– S dT liefert: 69 - p( T , V ) = ∂ F (T , V ) ∂V und - S (T ,V ) = ∂ F( T, V ) ∂T Nun muss die Ableitung des Ausdrucks ∂F(T,V)/∂V nach T gleich der von ∂F(T, V)/∂T nach V sein. Also wird - ∂ p(T , V ) ∂ S (T ,V ) =q. e. d. ∂T ∂V Wir fragen nun nach der V-Abhängigkeit der Energie und erhalten zunächst mit Regeln der Differentialrechnung (Falk-Ruppel S.!401, Job S.!51): ∂ E( T , V) ∂ E( S ,V ) ∂ E(S, V ) ∂ S( T , V) = + ⋅ ∂V ∂V ∂S ∂V Mit ∂ E( S , V ) ∂ E( S, V ) = - p und = T (siehe Abschnitt 4.5) ∂V ∂S und mit (5.1) wird ∂ E( T , V) ∂ p ( T, V ) = -p+ T ⋅ ∂V ∂T (5.2) Mit der Gasgleichung wird der zweite Summand auf der rechten Seite ∂ p( T , V ) Rn = T⋅ =p ∂T V Damit wird aus Gleichung (5.2) T⋅ ∂E( T , V ) =0 ∂V (5.3) oder E(V, T) – E(V0, T) = 0 Wir bilden nun (mit den Regeln der Differentialrechnung) ∂E( T , V ) ∂E( T ,V ) ∂T ( E, V ) =⋅ ∂V ∂T ∂V Mit (5.3) und da ∂E(T, V)/∂T ≠ 0 ist, folgt: ∂T ( E, V ) =0 ∂V Die Temperatur eines idealen Gases ist also bei E !=!const unabhängig vom Volumen, oder in anderen Worten: Bei der isoenergetischen Expansion oder Kompression eines idealen Gases bleibt die Temperatur konstant. Ein Prozess ist isoenergetisch bedeutet: Die Energie hat im Anfangs- und Endzustand denselben Wert, gleichgültig wie der Prozess realisiert wird: – Man lässt das Gas einen Kolben verschieben, Abb. 5.1. Dabei gibt das Gas Energie dE!=!v dp ab. Diese wird ihm mit Entropie wieder zugeführt: dE!=!T dS. Abb. 5.1. Das Gas gibt über den Kolben Energie mit dem Energieträger Impuls ab und nimmt über die Wände Energie mit dem Träger Entropie auf. 70 – Eine historisch wichtige Realisierung der isoenergetischen Expansion stellt die von Gay-Lussac durchgeführte freie Expansion dar, Abb. 5.2: Das Gas im linken Behälter entspannt sich in den leeren rechten. Die Temperatur ist am Ende dieselbe wie am Anfang. Wir beschaffen uns schließlich noch die Abhängigkeit der Energie vom Druck bei konstanter Temperatur. Mit der Kettenregel und mit (5.3) wird ∂E( p , T ) ∂E( T , V( p , T )) ∂E( T , V ) ∂V ( p, T ) = = ⋅ =0 ∂p ∂p ∂V ∂p Abb. 5.2. Das Gas entspannt sich ins Vakuum. oder E(p,!T)!–! E(p0,!T)!=!0 Die Entropie als Funktion vom Volumen und vom Druck bei konstanter Temperatur Zur Berechnung der V -Abhängigkeit der Entropie betrachten wir wieder die isoenergetische Expansion, und zwar reversibel realisiert (Abb. 5.1). Die ins Gas mit der Entropie hineinfließende Energie ist gleich der mit dem Impuls herausfließenden. Es ist also dE!=!T dS – p dV = 0 oder !T dS = p dV Mit der Gasgleichung wird dS = n ⋅ R ⋅ dV V und daraus folgt S (V , T ) - S (V0 , T ) = n ⋅ R ⋅ ln V V0 Bei T!=!const wächst also die Entropie logarithmisch mit dem Volumen. Daraus folgt auch, mit der Gasgleichung, S ( p, T ) - S ( p0 , T ) = n ⋅ R ⋅ ln p0 p Das chemische Potential als Funktion vom Volumen und vom Druck bei konstanter Temperatur Mit Hilfe der Gasgleichung berechnen wir die rechte Seite der Maxwellbeziehung (4.2c) ∂V ( T , p, n ) RT = ∂n p und erhalten ∂m ( T , p, n ) RT = ∂p p Die Integration liefert m( T , p ) - m( T , p0 ) = RT ln p p0 71 Bei T !=!const wächst also das chemische Potential logarithmisch mit dem Druck. Mit der Gasgleichung folgt auch m( T , V ) - m ( T , V0 ) = RT ln V0 V 5.1.3 Gelöste Stoffe als ideale Gase Die Gasgleichung gilt immer,wenn ein Stoff hinreichend verdünnt ist. Dabei ist es gleichgültig, wie man die Verdünnung erreicht. Wir hatten bisher angenommen, dass der Stoff als reines, verdünntes Gas vorlag. Der Stoff wurde sozusagen mit Vakuum verdünnt. Es ändert sich aber nichts an der Gültigkeit der Gasgleichung, wenn ein Stoff durch auflösen in einem materiellen Lösungsmittel verdünnt wird. Auch Zucker in einer verdünnten wässrigen Zuckerlösung, Na+-Ionen in einer wässrigen Kochsalzlösung, in Wasser gelöster Alkohol oder in Alkohol gelöstes Wasser befolgen die Gasgleichung p · V = n · R · T. Bei solchen Lösungen bezeichnet man die Mengendichte rn = n =c V als Konzentration. Der experimentelle Nachweis der Gültigkeit der Gasgleichung ist für diese Gase allerdings etwas schwieriger als für Gase im Vakuum: Um den Druck des gelösten Stoffes allein, den so genannten osmotischen Druck, zu messen, braucht man eine Wand, die für das Lösungsmittel durchlässig, für das Gelöste aber undurchlässig ist. Ein solches Diaphragma hat die unangenehme Eigenschaft, dass es auch für den Stoff, den es durchlässt, einen hohen Strömungswiderstand hat. Daher stellen sich die Drücke nur langsam ein. In dem in Abbildung 5.3 dargestellten Versuch ist der Druck des Gases “Zucker” durch die Differenz Dp! der Anzeigen der Manometer gegeben. Es ist plinks!= pWasser links!+ pZucker links! prechts = pWasser rechts Da die Wand für Wasser durchlässig ist, ist pWasser links!= pWasser rechts, also Dp!=!plinks!–!prechts = pZucker links! Auch die im vorigen Abschnitt hergeleitete Gleichung für das chemische Potential gilt hier. Das chemische Potential des gelösten Stoffes als Funktion des (osmotischen) Drucks des gelösten Stoffes ist: m( T , p ) - m( T , p0 ) = RT ln p p0 Mit c!=!n/V und p!= (n/V) ·!R · T erhält man m( T , c) - m ( T, c0 ) = RT ln c c0 Abb. 5.3. Das linke Manometer zeigt einen um den osmotischen Druck höheren Wert an als das rechte. 72 Abb. 5.4. Zwischen den beiden Behältern kann ein Stoffaustausch stattfinden. Es wird angenommen, dass sich das thermische Gleichgewicht unabhängig von Stoffaustausch einstellen kann. 5.1.4 Das gravitochemische Potential Wir fragen nach dem Verlauf des Drucks und des chemischen Potentials eines Gases über der Erdoberfläche als Funktion der Höhe!z. Die Temperatur sei überall dieselbe. Wir betrachten Gas in zwei über ein Rohr miteinander verbundenen Behältern 1 und 2 in den Höhen z1 und z2, einschließlich dem Gravitationsfeld, Abb. 5.4. Da zwischen den Behältern ein Gasaustausch möglich ist, stellen sie zwei aneinander gekoppelte Teilsysteme dar, zwischen denen sich ein Gleichgewicht einstellt. Um was für ein Gleichgewicht handelt es sich? Mit der gibbsschen Fundamentalform des Gesamtsystems wird: dE = (m1 –! m2) dn + g(z1 –! z2) dm + (T1!–!T2) dS + T dSerz = 0 Im Gleichgewicht ist T dSerz = 0. Wir nehmen noch an, dass die Entropie zwischen den Behältern unabhängig von Masse und Stoffmenge ausgetauscht werden kann. Es herrscht also immer thermisches Gleichgewicht, und es ist T1!=!T2. Daher bleibt nur noch: (m1 –! m2) dn + g(z1 –! z2) dm = 0 (5.4) Nun sind die Änderung dn der Stoffmenge und die Änderung der Masse dm fest aneinander gekoppelt. Mit m = mˆ wird nämlich dm = mˆ ⋅ dn n Aus unserer Gleichgewichtsbedingung (5.4) wird damit [(m 1 + mˆ gz1 ) - ( m 2 + mˆ gz2 )]dn = 0 Wir bezeichnen nun g = m + mˆ gz als gravitochemisches Potential, in Analogie zum elektrochemischen Potential h!=!m + Fj, und erhalten (g1!–!g2) dn = 0 Die gravitochemische Spannung Dg = Dm + mˆ g Dz stellt den resultierenden Antrieb für einen Mengenstrom im Gravitationsfeld dar. Der Mengenstrom ist Null, es herrscht gravitochemisches Gleichgewicht zwischen zwei Stellen im Raum, wenn die gravitochemische Spannung zwischen den beiden Stellen Null ist. Ein ruhendes Gas im Gravitationsfeld der Erde befindet sich im gravitochemischen Gleichgewicht. Für das Gas hat g in jeder Höhe denselben Wert: ˆ gz = m (0 ) g = m (z) + m Das chemische Potential m nimmt also mit der Höhe z linear ab: m( z) - m ( 0 ) = -mˆ gz Mit 73 p(z ) p( 0 ) m[ p( z)] - m [ p( 0 )] = RT ln erhält man die Abhängigkeit des Drucks von der Höhe (bei überall gleicher Temperatur): - mˆ gz = RT ln p(z ) p (0) oder ˆ gz ˆ Ê m p ( z ) = p ( 0 )expÁ ˜ Ë RT ¯ Diese Gleichung ist unter dem Namen barometrische Höhenformel bekannt. 5.1.5 Gemische idealer Gase In einem Behälter befinde sich ein Gemisch mehrerer idealer Gase. In der Gasgleichung p · V = R · n · T ist n= Ân i i d.h. die Menge n ist die Summe der Mengen ni der Gase i . Man nennt pi = p ni n den Partialdruck des Gases i. Damit wird pi · V = R · n i · T Für jedes Gas i allein gilt also eine Gasgleichung, wenn man als Druck den Partialdruck des Gases einsetzt. Jedes Gas i verhält sich so, als wäre es allein im Behälter. Die beiden in Abb. 5.5 gezeigten Situationen sind physikalisch identisch, es handelt sich um dasselbe System. Außer der Menge sind damit auch Energie und Entropie einfach durch die Summe der Teilenergien bzw. -entropien gegeben, es ist also: n= Ân i i E= ÂE S= i i ÂS i i Ein Gemisch aus zwei Gasen kann auch so beschrieben werden: Es stellt zwei Gase mit gleichem Volumen dar, die sich im thermischen Gleichgewicht befinden. Sie befinden sich im thermischen Gleichgewicht, weil Entropie vom einen zum anderen übergehen kann. Sie befinden sich nicht im Druckgleichgewicht, denn das Volumen jedes der Gase wird festgehalten, und sie befinden sich nicht im chemischen Gleichgewicht, denn das eine kann sich nicht ins andere verwandeln. Das chemische Potential jedes einzelnen Gases hängt nur vom Partialdruck dieses Gases ab: mi (T , pi ) - m i (T , p0 i ) = RT ln pi p0 i Wir betrachten den in Abb. 5.6 dargestellten Mischungsvorgang: Abb. 5.5. Die beiden Situationen sind physikalisch identisch. 74 a b Die Gase A und B liegen im Anfangszustand (a) getrennt vor, und zwar bei gleichem Druck pAa!=!pBa. Dann wird die Trennwand herausgezogen (b), es ist also Ve!=!VAa!+!VBa. Der Mischungsvorgang ist eine isoenergetische Expansion beider Gase auf das Endvolumen V e!, also nichts Neues. Beim Mischen bleibt daher T konstant, und die Entropie nimmt zu (siehe Abschnitt 5.1.2): Ve  n ln V DS = R i i Abb. 5.6. Der Mischungsvorgang ist eine isoenergetische Expansion der beiden Gase. ia Da vor dem Vermischen die Drucke der Gase gleich sind, ist p n n = i = RT Via Ve und es wird  n ln nn DS = R i i i Den Quotienten xi!=!ni/n bezeichnet man als Molenbruch . Damit wird die Mischungsentropie  x ln x DS = - nR i i i Diese Beziehung wird uns in der statistischen Physik und der Informationstheorie wiederbegegnen. Obwohl der Zusammenhang zwischen den Variablen eines Teilgases so ist, als wäre kein anderes Gas vorhanden, kann man sehr wohl zwischen einer freien Expansion ins Vakuum und einer freien Expansion in ein anderes Gas hinein unterscheiden: Der zweite Vorgang ist ein Diffusionsvorgang, er hat einen viel größeren Reaktionswiderstand als der erste. Die letzte Gleichung macht eine Aussage, die man als paradox empfinden kann (gibbssches Paradoxon): Sind die beiden Gase A und B (Abb. 5.6) identisch, so hat das Herausziehen der Wand gar keinen Prozess zur Folge. Unterscheiden sich die Gase dagegen im kleinsten nur denkbaren Merkmal, so nimmt DS einen von diesem Merkmal unabhängigen Wert an. Kann denn aber eine Gassorte nicht durch kontinuierliches Verändern eines Merkmals in eine andere überführt werden? Die Thermodynamik lehrt uns, dass die Antwort “nein” heißt. Sie fordert damit die Quantisierung physikalischer Größen. Das eine Gas könnte z.B. Ortho-, das andere Parawasserstoff sein. Es darf also zwischen Ortho- und Parawasserstoff keinen kontinuierlichen Übergang geben, d.h. keine Wasserstoffsorte, deren Kernspin einen scharfen Wert zwischen 0 undh - (aber ≠!0 und ≠!h- ) hat. 5.1.6 Das Massenwirkungsgesetz Der Übersichtlichkeit halber beschränken wir uns auf vier Reaktionspartner A, B, C und D. Die Verallgemeinerung der folgenden Rechnungen liegt aber auf der Hand. Alle Partner der Reaktion aA + bB Æ cC + dD 75 sollen als ideale Gase oder in verdünnter Lösung vorliegen. Die chemische Spannung Dm(T, pA, pB, pC, pD)! =!amA(T, pA) + bmB(T, pB) – cmC(T, pC) – dmD(T, pD) ist im Gleichgewicht gleich Null. Hier sind pA, p B, p C und pD die Partialdrücke der Gase A, B, C, und D. Wir drücken jedes chemische Potential auf der rechten Seite aus durch mi (T , pi ) = m i (T , p0 ) + RT ln pi p0 und erhalten für das chemische Gleichgewicht: D m ¢ ( T, p 0 ) 6444444444 474444444444 8 a m A ( T , p0 ) + b m B (T , p0 ) - cm C ( T, p0 ) - d m D (T, p 0 ) Ê p p p p ˆ + RT Á a ln A + b ln B - c ln C - d ln D ˜ = 0 p0 p0 p0 p0 ¯ Ë Wir nennen die chemische Spannung in dem Fall, dass jeder Reaktionspartner mit dem Partialdruck p0 vorliegt Dm '(T, p 0) und erhalten a Ê pA ˆ Ê pB ˆ Á ˜ ⋅Á ˜ Ë p 0 ¯ Ë p0 ¯ b Ê Dm ¢(T , p0 ) ˆ expÁ ˜= Ë ¯ Ê p ˆ c Ê p ˆd RT C D Á p ˜ ⋅Á p ˜ Ë 0¯ Ë 0 ¯ Der Ausdruck auf der linken Seite ist nur von der Temperatur, nicht aber von den Partialdrücken pA, pB, pC und pD abhängig. Wir nennen ihn K(T) und erhalten das Massenwirkungsgesetz: a b c d Ê pA ˆ Ê p B ˆ Á ˜ ⋅Á ˜ Ë p 0 ¯ Ë p0 ¯ Ê pC ˆ Ê p D ˆ Á p ˜ ⋅Á p ˜ Ë 0¯ Ë 0¯ = K (T ) Gibt man drei (bei n beteiligten Stoffen n!–!1) Partialdrücke vor, so legt das Massenwirkungsgesetz den vierten (n-ten) fest. 5.1.7 Die zweite Zustandsgleichung: S = S(T, p, n) Ein System mit der gibbsschen Fundamentalform dE = T dS – p dV + m dn ist durch drei Zustandsfunktionen charakterisiert, z.B. V!=!V(T,!p,!n), S !=!S(T,!p,!n) und m !=! m (T,!p,!n). Wir haben uns mit der ersten davon beschäftigt und wenden uns nun der zweiten Funktion, nämlich !S(T,!p,!n) zu. Ihr Verlauf ist durch weitere Erfahrungen bestimmt. Allerdings liegt die p -Abhängigkeit von !S(T,!p,!n) bereits fest wegen der Maxwellbeziehung (4.2a) - ∂S ( T, p , n) ∂V ( T, p , n) = ∂p ∂T Mit Hilfe der thermischen Zustandsgleichung wird 76 ∂ S (T , p , n) Rn =∂p p und integriert: S (T , p, n ) = n ⋅ R ⋅ ln Abb. 5.7. Bei fester Temperatur und festem Druck ist die Entropie proportional zur Menge. p0 + S(T , p0 , n) p (5.5) Unbekannt sind nur noch die n - und die T -Abhängigkeit von S. Beide folgen aus der experimentellen Erfahrung. Die n-Abhängigkeit folgt aus der Homogenität des Gases: Vergrößert man die Menge des Gases um den Faktor k und lässt dabei T und p konstant, so vergrößert sich die Entropie um denselben Faktor k. Man hat einfach neben das alte System ein neues System gesetzt, Abb. 5.7. Die Erfahrung lehrt, dass sich das neue und das alte System nicht gegenseitig beeinflussen. In mathematischen Symbolen: S (T , p, n ) = n ⋅ Sˆ ( T , p ) (5.6) Die T -Abhängigkeit von S schließlich enthält die Individualität des Gases, sie ist kompliziert. Unter gewissen Voraussetzungen lässt sich aber auch für sie ein einfacher analytischer Ausdruck angeben. Wir betrachten neben ∂S ( T, p , n) ∂T gleich noch CS p = ∂ S( T , V, n ) ∂T Beim idealen Gas ist die Kenntnis von CSp der von CSV äquivalent, denn es gilt (siehe Abschnitt 5.1.1) n CS p - CS V = R T CS V = Die Erfahrung lehrt nun, dass 3 n R 2 T 3 n = R 2 T 5 n ª R 2 T 5 n R 2 T 5 n = R 2 T 7 n ª R 2 T CS V ≥ CS p ≥ allgemein CS V CS p für einatomige Gase (Edelgase, HgDampf) CS V CS p für zweiatomige Gase, aber nur in begrenztem Temperaturbereich Für die Größen cV und cp gilt damit (siehe Abschnitt 2.12): 3 R 2 5 cV ª R 2 cV = 5 R 2 7 cp ª R 2 cp = für einatomige Gase für zweiatomige Gase und für alle Gase gilt cp!–! cV!=!R (5.7) Unter den gemachten Voraussetzungen sind also cp!und cV temperaturunabhängig, und wir können schreiben ∂S (T , p, n ) n = cp ∂T T 77 und integrieren: S ( T , p, n ) = c p ⋅ n ⋅ ln T + S ( T0 , p , n) T0 (5.8) Aus (5.5) und (5.8) ergibt sich Ê p Tˆ S ( T , p, n ) - S( T0 , p0 , n ) = n ⋅ Á R ln 0 + cp ln ˜ p T0 ¯ Ë (5.9) und mit (5.6) Ê ˆ p T S ( T , p, n ) = n ⋅ Á R ln 0 + cp ln + Sˆ( T0 , p 0 )˜ p T0 Ë ¯ Auf analoge Art erhält man Ê V Tˆ S ( T ,V , n ) - S ( T0 ,V0 , n ) = n ⋅ Á R ln + cV ln ˜ V0 T0 ¯ Ë (5.10) beziehungsweise Ê ˆ V T S ( T ,V , n ) = n ⋅ Á R ln + cV ln + Sˆ (T0 , V0 ) ˜ V0 T0 Ë ¯ 5.1.8 Isothermen, Isentropen, Isobaren und Isochoren des idealen Gases Wir suchen den p-V- Zusammenhang für konstante Temperatur und den für konstante Entropie: die Isothermen und die Isentropen. Wir betrachten hier stets Prozesse mit n!=!const. Um die Isothermen zu erhalten, schreiben wir die thermische Zustandsgleichung in der Form p(V , T) = p0V0 T 1 ⋅ T0 V oder p(V , T) = f (T ) ⋅ 1 V Isothermen Um die Isentropen zu berechnen, führen wir eine Abkürzung ein: cp =g cV und formen Gleichung (5.10) mit Hilfe von (5.7) um Ê V Tˆ S (T, V ) - S( T0 ,V0 ) = n ⋅ Á (c p - cV ) ⋅ ln + cV ln ˜ Ë V0 T0 ¯ È V T˘ = ncV ⋅ Í(g - 1) ⋅ ln + ln ˙ V0 T0 ˚ Î ÈÊ V ˆ g -1 T ˘ = ncV ⋅ ln ÍÁ ˜ ⋅ ˙ T0 ˚ ÎË V0 ¯ Hieraus folgt mit der thermischen Zustandsgleichung: (5.11) 78 a ÊÊ V ˆ g p ˆ S ( p, V ) - S( p0 ,V0 ) = n ⋅ cV ⋅ ln Á Á ˜ ⋅ ˜ Ë Ë V0 ¯ p0 ¯ und schließlich g Ê S - S0 ˆ Ê V0 ˆ ˜ p(V , S) = p0 ⋅ Ë ¯ ⋅ expÁ V Ë ncV ¯ oder p(V , S) = f (S ) ⋅ b 1 Vg Isentropen Da g >1 ist, ist in jedem Punkt des p -V-Diagramms die Isentrope steiler als die Isotherme. Um die Isochoren (V!=!const) des idealen Gases zu berechnen, eliminieren wir in (5.11) die Temperatur: g -1 Ê S - S0 ˆ ÊV ˜ T (S, V ) = T0 ⋅ Ë 0 ˆ¯ ⋅ expÁ V Ë ncV ¯ oder Abb. 5.8. (a) Isotherme und Isentrope im p-V-Diagramm. (b) Isobare und Isochore im T -S-Diagramm Ê S ˆ ˜ T (S, V ) = f (V ) ⋅ exp Á Ë ncV ¯ Isochoren Auf entsprechende Art erhält man aus (5.9) Ê pˆ T (S, p ) = T0 ⋅ Á ˜ Ë p0 ¯ 1- 1 g Ê S - S0 ˆ ˜ ⋅ expÁ Ë nc p ¯ oder Ê S ˆ ˜ T (S, p ) = f ( p) ⋅ exp Á Ë nc p ¯ Isobaren Abb. 5.8a zeigt im p -V-Diagramm eine Isotherme und eine Isentrope, Abb. 5.8b im T-S-Diagramm eine Isobare und eine Isochore. 5.1.9 Die dritte Zustandsgleichung: m!=! m(T, p, n) Zwei Ableitungen dieser Funktion liegen bereits durch die Maxwellbeziehungen (4.2b) und (4.2c), sowie die bisher diskutierten Zustandsgleichungen fest: ∂m ( T , p, n ) ∂S ( T , p, n ) p T = = R ln 0 + c p ln + Sˆ (T0 , p0 ) ∂T ∂n p T0 ∂m ( T , p, n ) ∂V ( T , p, n ) RT = = ∂p ∂n p Die dritte Ableitung müssen wir den experimentellen Erfahrungen entnehmen. Nun darf wegen der Homogenität des Systems m bei festgehaltenem T und p nicht mehr von n abhängen. Es ist also ∂m ( T , p, n ) =0 ∂n Integration ergibt schließlich: 79 m( T , p, n ) = RT ln Ê ˆ p T - c p Á T ln - T + T0 ˜ - Sˆ ( T0 , p 0 )(T - T0 ) + m ( T0 , p 0 ) p0 T0 Ë ¯ Wir haben damit endlich auch die T-Abhängigkeit des chemischen Potentials – allerdings sieht diese so kompliziert aus, dass man auf den ersten Blick nicht einmal erkennen kann, ob m mit T wächst oder abnimmt. Wie der Verlauf von m mit T ist, erkennt man besser an der Maxwellbeziehung Abb. 5.9. x1-X1-Diagramm eines typischen Kreisprozesses ∂m ( T , p, n ) ∂S ( T , p, n ) = ∂T ∂n Die rechte Seite stellt einfach die Entropie pro Menge dar, und die ist immer positiv. Also ist die Ableitung ∂m(T,!p,!n)/∂T negativ, das chemische Potential nimmt bei p = const und n = const mit wachsender Temperatur ab. - 5.1.10 Einfache Kreisprozesse mit idealen Gasen Technisch besonders wichtig sind solche Kreisprozesse, bei denen der Energieträger X1, mit dem die Energie ankommt, auf konstantem Potential x1e in die Maschine hinein, und auf konstantem Potential x1a aus der Maschine herausfließt, Abb. 5.9. Das x 1-X1-Diagramm ist ein Rechteck. Wir untersuchen drei Beispiele. Im ersten ist X1 die Entropie, der entsprechende Kreisprozess heißt Carnotprozess . Im zweiten ist X1 die Menge. Der dritte schließlich ist eine Kombination aus dem ersten und dem zweiten. Wir führen die drei Kreisprozesse mit einem idealen Gas aus. Die zweite extensive Variable X2 ist in allen Fällen das Volumen (der entsprechende Energieträger ist der Impuls). Abb. 5.10. Carnotmaschine Der Carnotprozess beim idealen Gas Abb. 5.10 zeigt die Maschine schematisch, in Abb. 5.11 ist der Prozessablauf im T-S- und im p-V-Diagramm dargestellt. Der Prozesszyklus besteht aus zwei Isothermen und zwei Isentropen. Die isotherme Pressluftmaschine Abb. 5.12 zeigt die Maschine schematisch, in Abb. 5.13 ist der Prozessablauf im m-n-, im p-V- und im T-S-Diagramm dargestellt. Außer den extensiven Größen n und V ändert sich noch die Entropie des Gases. Wie man im T-S-Diagramm erkennt, bleibt aber die Entropie immer auf demselben thermischen Potential T, sie behält also die von ihr getragene Energie. Für Prozesse mit konstantem m und konstantem n hat der Fachjargon kein eigenes “Iso-Wort” reserviert. Im Prozessschritt AB wird mit dem einströmenden Gas Entropie konvektiv in den Zylinder hineingetragen, im Schritt BC dagegen fließt Entropie durch die Zylinderwand in den Zylinder hinein. Im Schritt CD wird sie wieder konvektiv hinaustransportiert. Abb. 5.11. T- S-Diagramm und p- V-Diagramm des Carnotprozesses Abb. 5.12. Isotherme Pressluftmaschine 80 Die isentrope Pressluftmaschine (Dampfmaschine) Der gerade beschriebene Kreisprozess ist schwer zu realisieren, da Entropieleitung langsam geht. Reale Maschinen (Pressluftmaschinen oder Dampfmaschinen) arbeiten weitgehend isentrop, Abb. 5.14 und 5.15. Die Temperatur nimmt beim Expansionsschritt BC ab. Daher ist bei C das chemische Potential m1 höher als bei der isothermen Maschine. Die die Maschine verlassende Luft (bzw. der Dampf) wäre noch zu gebrauchen: Man könnte zwischen Atmosphärenluft und der aus der Pressluftmaschine kommenden Luft eine Wärmekraftmaschine betreiben. Diese lieferte pro Zyklus gerade den in Abb. 5.15 schraffiert gezeichneten Energiebetrag. 5.2 Flüssigkeiten und Feststoffe Abb. 5.13. m-n-, p-V- und T-S-Diagramm der isothermen Pressluftmaschine 5.2.1 Das chemische Potential Flüssigkeiten und Feststoffe haben die Eigenschaft, dass sich ihre Dichte nur schwer verändern lässt, und zwar weder durch Druckänderung, noch durch Temperaturänderung. Die folgenden Überlegungen sind nur dann auf Feststoffe anwendbar, wenn das ganze Problem isotrop ist, d.h. sowohl die den Feststoff charakterisierenden Koeffizienten als auch die mechanischen Spannungen müssen richtungsunabhängig sein. Aus der Erfahrung folgt k=a= 1 ∂ V( T , p, n ) ª0 V ∂p 1 ∂ V( T , p, n ) ª0 V ∂T Mit der Maxwellbeziehung (4.2a) Abb. 5.14. Isentrope Pressluftmaschine ∂ V( T , p, n ) ∂ S (T , p , n) =∂T ∂p folgt, dass auch ∂ S (T , p , n) ª0 ∂p ist. Die Entropie ist also nahezu druckunabhängig. Das bedeutet keineswegs, dass S auch volumenunabhängig wäre. Eine andere Maxwellbeziehung lautet nämlich ∂ S (T , V , n ) ∂ p ( T, V , n) = ∂V ∂T und ∂ p(T,!V,!n)/∂T ist erfahrungsgemäß sehr groß. Dass man S durch Volumenänderung nicht ändern kann, liegt einfach daran, dass die betrachteten Stoffe so schwer komprimierbar sind. Für Flüssigkeiten und Feststoffe gilt außerdem cp!ª!cV, und je tiefer die Temperatur ist, desto besser. Wir schreiben deshalb für cp! und !cV einfach c. Mit Hilfe der Maxwellbeziehung (4.2c) Abb. 5.15. m -n-, p- V- und T- S-Diagramm der isentropen Pressluftmaschine ∂ V( T , p, n ) ∂ m( T , p, n ) = ∂n ∂p 81 berechnen wir noch die Druckabhängigkeit des chemischen Potentials. Wegen a ª!0 und k ª!0 ist ∂V (T, p, n ) ˆ = V (T , p) ∂n nahezu temperatur- und druckunabhängig, und man erhält m( p ) - m ( p0 ) = Vˆ ⋅ ( p - p0 ) (5.12) Wir wenden Gleichung (5.12) auf zwei Beispiele an. Das gravitochemische Potential in Flüssigkeiten Wie in Abschnitt 5.1.4 gezeigt wurde, ist das gravitochemische Potential g = m + mˆ gz Befindet sich die Flüssigkeit in Ruhe (z.B. Wasser in einem See), so herrscht gravitochemisches Gleichgewicht, es ist g ( z) = m ( z ) + mˆ gz = m ( 0 ) Wie beim Gas, nimmt das chemische Potential linear mit der Höhe ab. Mit der Formel für das chemische Potential als Funktion des Drucks wird: Vˆ [ p ( z ) - p (0) ] = - mˆ gz, also p ( z ) = p ( 0 ) - r m gz die bekannte Formel für den Schweredruck in einer Flüssigkeit. Warum fließt das Wasser nicht vom Grund des Sees zur Oberfläche, obwohl doch ein Antrieb Dm vorhanden ist? Erniedrigung des chemischen Potentials einer Flüssigkeit durch Zugabe einer kleinen Menge eines fremden Stoffes Löst man in einer Flüssigkeit eine kleine Menge eines fremden Stoffes (Index G, Gelöstes), so nimmt das chemische Potential des Lösungsmittels ab. Wir betrachten das Experiment von Abb. 5.16. Wir nehmen an, das Lösungsmittel sei Wasser. Das Wasser links von der Membran befindet sich im chemischen Gleichgewicht mit dem Lösungsmittel Wasser rechts. mH 2 O, 1 = m H2 O, 2 Durch die Membran strömt daher kein Wasser mehr hindurch, und die Flüssigkeitssäulen links und rechts verändern ihre Höhe nicht mehr. Der Druck rechts von der Membran muss nun gleich der Summe aus dem Druck links und dem Druck des Gelösten sein. p2 = p1 + pG (Auf das Oberflächenstück A der Flüssigkeit rechts wirken zwei Kräfte: die Kraft p 1!· A , die die Flüssigkeit 1 durch die Membran hindurch auf die Flüssigkeit 2 ausübt und die Kraft pG!· A , die die Membran selbst auf die Flüssigkeit 2 ausübt.) Abb. 5.16. Links (1) von der wasserdurchlässigen Membran befindet sich reines Wasser, in dem Wasser rechts (2) ist ein Fremdstoff gelöst. Das chemische Potential des Wasser ist links und rechts gleich. 82 Nun unterscheidet sich das Wasser rechts von der Membran in zweierlei Hinsicht vom Wasser links: erstens ist sein Druck höher und zweitens ist ein Fremdstoff in ihm gelöst. Sein chemisches Potential ist also mH 2 O, 2 = mH 2 O, 1 + ( V / n)( p2 - p1 ) + Dm ( nG ) Der zweite Summand auf der rechten Seite der Gleichung beschreibt die Änderung des chemischen Potentials durch den erhöhten Druck, der dritte Summand Dm (nG) ist die Änderung des chemischen Potentials durch den Fremdstoff. Damit die chemischen Potentiale links und rechts gleich sind, müssen beide Korrekturen zusammen null ergeben, d.h. es muss sein Dm ( nG ) = -( V / n )( p 2 - p1 ) Mit der Gasgleichung pGV!=!RnGT und mit p2 = p1 + pG wird daher Dm ( nG ) = - V RnGT n V Nun ist nG/n gleich dem Molenbruch x, und wir erhalten Dm(nG) !=!–!xRT Die Formel sagt uns, dass das chemische Potential des Wassers im Rhein höher ist als das des Wassers in der Nordsee. Man könnte also an der Rheinmündung ein Kraftwerk betreiben, in dem das Rheinwasser auf das niedrige Nordseepotential heruntergelassen, und dafür Elektrizität auf hohes elektrisches Potential hinaufgepumpt wird. 5.2.2 Die Entropie von Feststoffen Es ist zweckmäßig, einen Festkörper in Gedanken in Teilsysteme zu zerlegen: Gittersystem, Elektronensystem, Spinsystem… Jedes dieser Teilsysteme trägt im Allgemeinen zur Entropie bei. Für viele Zwecke kann man diese Systeme einzeln betrachten. Manchmal ist eines dieser Systeme “gar nicht vorhanden”: Seine Mengenvariable hat den Wert null. Mit Elektronensystem sind die so genannten freien Elektronen gemeint. Ein elektrischer Nichtleiter hat also in diesem Sinn kein Elektronensystem. Wir betrachten zunächst das Gittersystem (das Wort kommt daher, dass die Atome oder Ionen von Feststoffen ein Kristallgitter bilden). Die Erfahrung zeigt, dass die molare Wärmekapazität für alle Feststoffe bei niedrigen Temperaturen dem Debyeschen Gesetz folgt, Abb. 5.17: Ê Tˆ 12 c = p 4 RÁ ˜ 5 Ë TD ¯ 3 für T << TD Mit c= d Eˆ d Sˆ =T dT dT ist T T Ú Ú 3 c 12 R 12 RÊ T ˆ c Sˆ = dT = p 4 3 T 2 dT = p 4 Á ˜ = T 5 TD 0 5 3 Ë TD ¯ 3 0 83 Stoff Pb Ag Cu Fe KBr NaCl Ge Diamant Tabelle 5.1 Abb. 5.17. Spezifische Wärmekapazität als Funktion der Temperatur für einige feste Stoffe Auch die molare Entropie geht also mit der 3. Potenz von T, Abb. 5.18. Der spezielle Stoff wird also allein durch TD, die Debye-Temperatur, charakterisiert. In Tabelle 5.1 sind einige T D-Werte aufgelistet. Die Erfahrung zeigt außerdem, dass c auch für hohe Temperaturen ein einfaches Verhalten zeigt: Für Kristalle, die aus einer einzigen Atomsorte bestehen, geht c asymptotisch gegen 3R, Abb. 5.17: c!=!3R für T>>TD. Dies ist das Dulong-Petitsche Gesetz. Von der Entropie des Elektronensystems merkt man nur etwas bei sehr tiefen Temperaturen (falls der Stoff überhaupt freie Elektronen hat, also falls er ein Metall ist). Sie verläuft proportional zu T, und die molare Entropie ist daher mit c identisch: Sˆ = c µ T Abb. 5.18. Entropie des Elektronen- und des Gittersystems als Funktion der Temperatur für Feststoffe TD (in K) 88 215 315 453 177 287 360 1860 84 5.3 Strömungen Wir betrachten Rohrströmungen mit folgenden Eigenschaften: Alle partiellen Ableitungen nach t verschwinden, d.h. die Strömung ist stationär. Die Strömungsgeschwindigkeit ist über dem ganzen Rohrquerschnitt dieselbe. Der Rohrquerschnitt sei veränderlich, so dass sich die Strömungsgeschwindigkeit in Richtung der Rohrachse von Ort zu Ort ändert. Außerdem soll keine innere Reibung und keine Reibung mit der Rohrwand stattfinden. Für die Behandlung von Strömungen braucht man drei Arten von Zusammenhängen: 1. Die Bilanzgleichungen für die mengenartigen Größen E , S , n (oder m ) und p . In dem hier betrachteten Spezialfall stationärer Strömungen ist der Term dX/dt in den Bilanzgleichungen dX = IX + S X dt immer gleich null. 2. Die gibbssche Fundamentalform Neben den Bilanzgleichungen der einzelnen mengenartigen Größen braucht man noch die Verknüpfungen zwischen den Strömen der mengenartigen Größen, die aus der gibbsschen Fundamentalform folgen: v P = TIS + mI n + I p konv 2 (5.13) (v/2)Ip konv stellt nicht den ganzen “impulsgetragenen” Energiestrom dar, sondern nur den Anteil, der zum konvektiven Impulsstrom gehört. In anderen Worten: bewegte kinetische Energie. Der dem konduktiven Impulsstrom entsprechende (und aus der Mechanikvorlesung bekannte) Energiestrom vF steckt bereits in dem Term mIn. (Die Stromdichte des konduktiven Impulsstroms ist der Druck – die Variable Druck tritt aber hier im chemischen Potential “versteckt” auf). Wir wollen diesen Term herleiten. Es sei rE kin die Dichte und jE!kin die Stromdichte der kinetischen Energie. Dann ist die entsprechende Stromstärke A ⋅ j E kin = A ⋅ v ⋅ r E kin = A ⋅ v ⋅ rm 2 v 2 Mit Ip konv = A · jp konv = A· v · rm · v wird A ⋅ j E kin = Abb. 5.19. Die Energiestromstärke ist an jedem Rohrquerschnitt dieselbe. Die Verteilung des Energiestroms auf die verschiedenen Energieträger ist aber unterschiedlich. v I p konv 2 Häufig ist bei einer Strömung P längs des ganzen Weges konstant, die einzelnen Beiträge in (5.13) ändern sich aber an Stellen, an denen sich der Rohrquerschnitt ändert, Abb. 5.19. Das kann man auch so ausdrücken: Die Beladung eines Energieträgers ändert sich auf Kosten der Beladung eines anderen. Die Energie wird innerhalb der Strömung von einem Träger auf einen anderen umgeladen. 85 Mit I S = Sˆ ⋅ In und I p konv = pˆ ⋅ I n läßt sich (5.13) schreiben : v P = ÊÁ T ⋅ Sˆ + m + ˆpˆ˜ I n Ë 2 ¯ (5.14) 3. Schließlich muss man noch die den individuellen strömenden Stoff (ideales Gas, inkompressible Flüssigkeit, etc.) charakterisierenden Beziehungen angeben. 5.3.1 Strömungen ohne Energiefluss durch die Rohrwand Für Strömungen ohne Energiefluss durch die Rohrwand gilt ein einfaches Gesetz: Eˆ + pVˆ = const Zum Beweis stellen wir uns vor, die Strömung komme zustande wie es Abb. 5.20 zeigt: durch zwei sich bewegende Kolben. Damit setzen wir voraus, dass in Strömungsrichtung keine Diffusion und keine Wärmeleitung stattfindet. Für die Energieänderung dE des Systems zwischen den beiden Kolben gilt dE = – p1dV1 – p2dV2 Man kann sich vorstellen, dass die Energieänderung dE dadurch zustande gekommen ist, dass die ganze im Volumen dV1 enthaltene Energie dE 1 verschwindet und die ganze in dV 2 enthaltene Energie dE2 hinzukommt, so dass dE = dE1 + dE2 = – p1dV1 – p2dV2 wird oder d(E1 + p1V1) + d(E2 + p2V2) = 0 Verfolgt man eine bestimmte Gasmenge auf ihrem Weg von links nach rechts, so ist also für dieses System E + p V = const oder pro Menge geschrieben Eˆ + pVˆ = const Dies ist eine für Strömungen wichtige Regel: Wenn die Energiestromstärke in einer Strömung von einem Rohrquerschnitt zum anderen konstant ist, wenn also keine Energie “seitlich herausgeholt oder hineingesteckt” wird, so hat der Ausdruck E! +!pV bei beiden Rohrquerschnitten denselben Wert. Wir haben früher Prozesse betrachtet, bei denen der Wert einer Variable konstant ist, z.B. isotherme Prozesse (T = const), isentrope Prozesse (S = const), isoenergetische Prozesse (E = const). Wir haben hier einen Prozess vor uns, bei dem eine bestimmte Kombination von Variablen konstant ist, nämlich E + pV. Zur Vereinfachung der Gleichungen geben wir dieser Variablenkombination ein eigenes Symbol: E + pV = H und Eˆ + pVˆ = Hˆ Abb. 5.20. Man kann sich vorstellen, dass die Energieänderung im Gebiet zwischen den beiden Kolben dadurch zustande kommt, dass die Energie im Volumenelement dV 1 ver schwindet und die Energie im Volumenelement dV2 auftaucht. 86 Wir erinnern uns, dass diese Bildung auch Enthalpie genannt wird, und dass sie Gibbsfunktion ist, wenn sie als Funktion der Variablen S, p und n geschrieben wird. 5.3.2 Strömung eines idealen Gases ohne Energiefluss durch die Rohrwand Wir setzen in Gleichung (5.14) ein ˆ ⋅v pˆ ( v) = m Abb. 5.21. Ein ideales Gas strömt durch eine Drossel, ohne beschleunigt zu werden. p T Sˆ (T , p) = R ln 0 + c p ln + Sˆ( T0 , p0 ) p T0 m( T , p ) = RT ln p T - c p T ln - TSˆ( T0 , p 0 ) + c p ( T - T0 ) p0 T0 + T0 Sˆ (T0 , p 0 ) + m (T0 , p0 ) und erhalten ˆ ˘ È m P = Íc p ( T - T0 ) + T0 Sˆ( T0 , p 0 ) + m ( T0 , p0 ) + v 2 ˙ In 2 ˚ Î (5.15) Mit P!=!const und In!=!const folgt daraus ˆ m c p ( T - T0 ) + T0 Sˆ( T0 , p 0 ) + m (T0 , p0 ) + v 2 = const 2 Hier und im Folgenden heißt “const” “hat denselben Wert an jedem Rohrquerschnitt”. Wir nennen nun diejenige Temperatur, bei der das Gas die Geschwindigkeit v!=! 0 hat T 0 (“Kesselzustand”) und erhalten c pT + mˆ 2 v = c p T0 2 (5.16) Je schneller das Gas strömt, desto niedriger ist also seine Temperatur. Wir betrachten eine Anwendung dieser Beziehung, Abb. 5.21. Ein ideales Gas strömt durch eine so genannte Drossel: einen Strömungswiderstand, durch den das Gas hindurchfließt, ohne beschleunigt zu werden, ohne also dahinter einen Strahl oder Wirbel zu bilden. Der Widerstand sei gegen die äußere Umgebung thermisch isoliert, so dass er der Gasströmung keine Energie entnehmen kann. In der Drossel entspannt sich das Gas: Sein Druck und seine Dichte nehmen ab. Damit v1 = v2 ist, muss sich in der Drossel der Rohrquerschnitt etwas vergrößern. Mit der vorigen Gleichung ergibt sich c p ( T1 - T0 ) = c p ( T2 - T0 ) also T1!= T2! Mit der Gasgleichung folgt daraus, dass der Druck um denselben Faktor abnimmt, um den das molare Volumen zunimmt. 87 5.3.3 Isotherme Strömung des idealen Gases Die Bilanzgleichung der Energie ist, Abb. 5.22: P2!=! P1!+! Pz! Mit (5.15) und mit T1!=! T2! ergibt sich mˆ 2 mˆ v2 I n = v12 I n + T ⋅ IS , z 2 2 Hier ist IS,z der zusätzliche Entropiestrom, d.h. der Entropiestrom, der von der Seite zu- oder abfließt, damit T konstant bleibt. Mit I S , z = Sˆz ⋅ In und p Sˆ z = R ln 1 p2 (denn T = const) wird mˆ 2 p ( v2 - v12 ) = T ⋅ R ⋅ ln 1 2 p2 Nehmen wir als Zustand 1 den Kesselzustand, so dass v1!=!0, und nennen p1!=!p0, v2!=!v und p2!=!p, so wird v2 = 2 RT p 0 ln ˆ m p Je schneller das Gas strömt, desto niedriger ist also sein Druck. 5.3.4 Ideale Strömungen inkompressibler Flüssigkeiten Da die Flüssigkeit nicht komprimiert wird (weil es so schwer geht), und da ∂ S(T,!p,!n)/∂p!ª!0 ist, ist eine isentrope Strömung gleichzeitig auch isotherm. Wir betrachten solche isentrop-isothermen Strömungen. Mit (5.14) wird ˆ ˆ Ê m P = Á T ⋅ Sˆ + m + v 2 ˜ I n = const Ë 2 ¯ und mit Sˆ = const m+ ˆ 2 m v = const 2 Mit m( p ) = Vˆ ( p - p0 ) + m ( p0 ) (Gleichung (5.12)) ergibt sich mˆ Vˆ ⋅ p + v 2 = const 2 Abb. 5.22. Zur Energiebilanz einer isothermen Strömung 88 und mit ˆ m rm = ˆ V wird daraus p+ Abb. 5.23. Auf dem Weg AB wird Energie vom Energieträger Masse auf den Energieträger Stoffmenge umgeladen. In der Düse wechselt sie noch einmal den Träger: Sie wird auf den Impuls umgeladen. rm 2 v = const 2 Diese Beziehung heißt Bernoulli-Gleic hung. Nach ihr ist der Druck um so kleiner, je größer die Strömungsgeschwindigkeit ist. An Stellen, an denen ein Rohr weit ist, ist also der Druck höher als an engen Stellen. 5.3.5 Flüssigkeitsströmungen im Schwerefeld Wir haben bisher stillschweigend vorausgesetzt, dass kein Gravitationsfeld vorhanden ist. Mit Gravitationsfeld wird aus (5.13) v P = TIS + mI n + I p, konv + ghIm 2 und ˆ m ˆ gh )I n P = (TSˆ + m + v 2 + m 2 Das ist zwar der an I n gekoppelte Energiestrom. Ein Teil davon, nämlich der, der seinen Ursprung im Gravitationsfeld hat, fließt aber nicht an derselben Stelle wie In. mˆ Mit Sˆ = const, m ( p ) = Vˆ ( p - p 0 ) + m( p 0 ) und rm = , Vˆ und mit P = const, I n = const und T = const wird r p + m v 2 + rm ⋅ g ⋅ h = const 2 Auf dem Weg von A nach C, Abb. 5.23, wird Energie zweimal umgeladen: Auf AB nimmt die Beladung von In auf Kosten von der von Im zu. In der Verengung (Düse) nimmt die Beladung von Ip auf Kosten von der von In zu. 89 5.4 Phasenübergänge 5.4.1 Phasen Das Wort Phase hat eine ähnliche Bedeutung wie das Wort Stoff. Da man aber nicht gern sagt, Eis und flüssiges Wasser seien verschiedene Stoffe, spricht man hier lieber von verschiedenen Phasen. Von zwei verschiedenen Phasen spricht man nicht, wenn man z. B. einmal flüssiges Wasser bei 10!˚C und daneben flüssiges Wasser von 20!˚C vorliegen hat. Um von einer Phase zu einer anderen zu gelangen, müssen die Werte irgendwelcher Variablen unstetige Veränderungen erfahren: beim Übergang flüssiges Wasser Æ gasförmiges Wasser z.B. machen die Größen molare Entropie und molares Volumen einen Sprung. Man nehme aber diese Definition nicht zu ernst: Man kann den Sprung in dem zitierten Beispiel dadurch vermeiden, dass man außen um den so genannten kritischen Punkt herumläuft. Die bekanntesten Phasen sind die feste, die flüssige und die gasförmige Phase, in denen viele Stoffe auftreten können. Daneben treten aber besonders Feststoffe noch in unzähligen anderen Phasen auf: verschiedene Kristallmodifikationen; Phasen, in denen ein Teil des Kristallgitters (eine Ionensorte) fest, eine andere flüssig ist; Phasen, die durch verschiedene Ordnungszustände der atomaren magnetischen oder elektrischen Momente charakterisiert sind; Phasen des Elektronensystems (Normal- und Supraleitung) und noch viele andere. 5.4.2 Phasenübergänge Phasenübergänge sind Reaktionen. Kann die Reaktion ungehemmt ablaufen, so herrscht während des Phasenübergangs von Phase I in Phase II chemisches Gleichgewicht, es ist mI( p, T)!=! mII( p, T) Diese Gleichung definiert einen Zusammenhang zwischen Druck und Temperatur p !=!p(T). Stellt man die Funktion in einem p -TKoordinatensystem dar, so spricht man von einem Zustands - oder Phasendiagramm. Für p -T-Wertepaare, die auf der Koexistenzkurve !p(T) liegen, existieren beide Phasen nebeneinander. Außerhalb der Kurve ist nur eine einzige Phase stabil. Die !p(T)-Kurve, die die gasförmige von der flüssigen Phase trennt, heißt die Dampfdruckkurve des Stoffs. Der Druck !p(T) heißt der Dampfdruck der Flüssigkeit bei der Temperatur T. Die Dampfdruckkurve endet im kritischen Punkt (bei T!=!Tkr und p !=!pkr). Die Abbildungen 5.24 und 5.25 zeigen das Phasendiagramm von Wasser in zwei verschiedenen Maßstäben. In Abb. 5.26 ist das Phasendiagramm von Schwefel dargestellt. In Tripelpunkten haben die chemischen Potentiale von drei Phasen denselben Wert. Dies ist eine Bedingung, die p und T festlegt. Man kann also, wenn man einen Stoff in den Zustand bringt, in dem drei Phasen koexistieren, eine bestimmte Temperatur einstellen: einen Fixpunkt der Temperatur. Die Einheit der Temperatur hat man über den Tripelpunkt des Wassers definiert (siehe Abschnitt 2.4). Tabelle 5.2 gibt Dampfdruckwerte des Wassers bei verschiedenen Temperaturen wieder. In Tabelle 5.3 sind die Dampfdruckwerte einiger Stoffe bei 20!˚C aufgeführt. Ob ein Stoff bei einer bestimmten Temperatur normal- oder supraleitend ist, hängt vom Magnetfeld ab. Abb. 5.27 zeigt das H -TPhasendiagramm von Blei. Abb. 5.24. Phasendiagramm von Wasser Abb. 5.25. Phasendiagramm von Wasser Abb. 5.26. Phasendiagramm von Schwefel 90 J(˚C) 0 20 40 60 80 100 150 300 350 pD (Pa) 613 2333 7373 19,92·103 47,3·103 101,3·103 4,76·105 8,59·106 1,65·107 Tabelle 5.2. Dampfdruck von Wasser Stoff Ethanol Methanol Benzol Quecksilber pD (Pa) 5,88·103 1,25·104 1,00·104 0,16 Tabelle 5.3. Dampfdruck einiger Stoffe bei 20 ˚C 5.4.3 x-X-Diagramme Um besser zu durchschauen, wie sich bei einem Phasenübergang die verschiedenen Variablen ändern, betrachten wir Phasenübergänge gasig-flüssig in verschiedenen Darstellungen, Abb. 5.28 und 5.29. Bei fester Temperatur wird das Volumen des Gases vermindert. Dabei erhöht sich zunächst der Druck, siehe den Weg im p-T-Diagramm, Abb. 5.28. Sobald dieser Weg die Dampfdruckkurve erreicht, beginnt die Verflüssigung. Wir befinden uns im p -V-Diagramm im Punkt a. Der Druck ändert sich nun trotz Volumenverminderung nicht mehr. Die Verflüssigung schreitet fort bis im Punkt b der ganze Stoff flüssig ist. Eine weitere Volumenverminderung ist von einem starken Druckanstieg begleitet. Im p-T-Diagramm verlassen wir die Dampfdruckkurve. Beim Übergang flüssig Æ gasig ändert sich das molare Volumen um einen endlichen Betrag. Dieser ist für den Stoff charakteristisch, hängt aber von der Temperatur ab. In Tabelle 5.4 ist das molare Volumen von flüssigem Wasser (Index F) und von Wasserdampf (Index D) für verschiedene Temperaturen aufgelistet. Wir führen nun der Flüssigkeit bei festem Druck Entropie zu. Dabei erhöht sich zunächst die Temperatur, siehe den Weg im p-TDiagramm, Abb. 5.29. Sobald dieser Weg die Dampfdruckkurve erreicht, beginnt die Verdampfung. Im T -S-Diagramm befinden wir uns im Punkt g. Die Temperatur ändert sich nun trotz Entropiezufuhr nicht mehr. Die Verdampfung schreitet fort, bis im Punkt d der ganze Stoff gasförmig ist. Eine weitere Entropiezufuhr ist wieder von einer Temperaturerhöhung begleitet; wir verT (K) VˆD (m 3 / mol) D SˆF ÆD ( Ct/mol) 312 1,81·10–5 3,7·10–1 166 423 1,97·10–5 6,85·10–3 79 535 2,30·10–5 7,4·10–4 39 –5 –5 0 647 (= Tkr/K) Abb. 5.27. H-T-Phasendiagramm von Blei VˆF (m 3 / mol) 5,66·10 5,66·10 Tabelle 5.4. Molares Volumen von flüssigem Wasser und Wasserdampf, sowie die Änderung der molaren Entropie des Wassers beim Phasenübergang Abb. 5.28. Phasenübergang bei konstanter Temperatur 91 lassen die Dampfdruckkurve im p -T-Diagramm. Beim Übergang flüssig Æ gasig ändert sich die molare Entropie um einen endlichen Betrag. Dieser ist für den Stoff charakteristisch, hängt aber noch von der Temperatur ab. Tabelle 5.4 enthält in der 4. Spalte diese Änderung der molaren Entropie von Wasser bei verschiedenen Temperaturen. TDSˆ nennt man die molare Verdampfungswärme. 5.4.4 Die Clausius-Clapeyron-Gleichung Der Verlauf der Koexistenz-Kurve p (T) zwischen den Phasen I und II steht in einfachem Zusammenhang mit den Werten von Sˆ I - Sˆ II und VˆI - VˆII bei der Temperatur T. Auf der Koexistenz-Kurve ist m I!=!mII, also gilt dort d ( mI - m II ) =0 dT und damit ∂m I ( p, T ) ∂ mI ( p, T ) dp ∂m II ( p, T ) ∂ mII ( p, T ) dp + ⋅ ⋅ =0 ∂T ∂p dT ∂T ∂p dT Mit den Maxwellbeziehungen (4.2b) und (4.2c) wird dp - SˆI ( p, T ) + SˆII ( p, T ) + VˆI ( p , T ) - VˆII ( p, T ) ⋅ =0 dT [ ] also dp DSˆ (T ) = dT D Vˆ (T ) Clausius - Clapeyron - Gleichung Abb. 5.29. Phasenübergang bei konstantem Druck 92 Abb. 5.30. Das chemische Potential des Wasserdampfes unmittelbar über der Wasseroberfläche ist gleich dem des flüssigen Wassers. a b Abb. 5.31. (a) Wird in einer Flüssigkeit ein Fremdstoff gelöst, so nimmt das chemische Potential der Flüssigkeit ab. (b) m-p-Diagramm a b Abb. 5.32. (a) Bodenkörper und Gelöstes streben dem chemischen Gleichgewicht zu. (b) Zwei nicht mischbare Flüssigkeiten. Die flüssige Phase des einen Stoffs stellt das Vakuum für die gasförmige Phase des anderen Stoffs dar. Beim Verdampfen nehmen die molare Entropie und das molare Volumen zu, d.h. Zähler und Nenner auf der rechten Seite der Clausius-Clapeyron-Gleichung haben dasselbe Vorzeichen. Also ist dp/dT positiv; mit zunehmendem Druck steigt die Siedetemperatur. Dasselbe gilt normalerweise auch für das Schmelzen, auch die Schmelzdruckkurve hat eine positive Steigung. Wasser macht hier allerdings eine Ausnahme, denn beim Schmelzen nimmt sein Volumen ab (obwohl die molare Entropie natürlich zunimmt). Die Schmelzdruckkurve hat also eine negative Steigung (“Anomalie des Wassers”). 5.4.5 Verdunsten und Sieden In einem oben offenen Gefäß befinde sich Wasser. Das chemische Potential des Wasserdampfes mD ist direkt über der Wasseroberfläche gleich dem des flüssigen Wassers m F unterhalb der Wasseroberfläche. Der Partialdruck des Wasserdampfes ist gleich dem Dampfdruck pD, Abb. 5.30. Weiter oben werden im Allgemeinen Partialdruck und chemisches Potential geringer. Es herrscht eine chemische Spannung, und daher diffundiert gasförmiges Wasser aus der Oberflächenregion weg. Damit dort das chemische Potential auf dem Gleichgewichtswert bleibt, muss Wasser aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand übergehen: Es verdunstet. Der Partialdruck des Wassers über der Flüssigkeitsoberfläche wächst mit zunehmender Temperatur. Erreicht er den Wert des Luftdrucks, so wird der Partialdruck der Luft null. Der Wasserdampf braucht von jetzt ab nicht mehr durch die Luft hindurchzudiffundieren, er drückt die Luft weg und strömt ungehindert nach oben weg. Der Widerstand gegen die Ausbreitung nimmt sehr stark ab, die Ausbreitung ist praktisch ungehemmt. Das Verdampfen geht so schnell weiter wie es der Wärmenachlieferung entspricht. Man sagt, das Wasser siedet . Wird das Wasser, wie gewöhnlich auf dem Herd, von unten erhitzt, so muss der Dampf von unten durch die Flüssigkeit hindurchgelangen, er muss Blasen bilden. Damit das möglich ist, muss die Temperatur so weit steigen, bis der Dampfdruck gleich dem Druck im Wasser am Boden des Gefäßes wird. Wir betrachten eine Flüssigkeit, die sich zusammen mit ihrem Dampf in einem geschlossenen Gefäß befindet, Abb. 5.31a. Beide haben dasselbe chemische Potential. Abb. 5.31b zeigt die m (!p)Kurven (bei fester Temperatur). Löst man nun in der Flüssigkeit einen Fremdstoff, so sinkt das chemische Potential der Flüssigkeit (Vergl. Abschnitt 5.2.1) um Dm !=!–xRT (!x!= Molenbruch des Gelösten). Gas und Flüssigkeit kommen aus dem chemischen Gleichgewicht. Es wird nun solange Gas kondensieren, bis das chemische Potential des Gases auf den Wert der Flüssigkeit abgesunken ist. Der Dampfdruck der Flüssigkeit hat sich also durch Zugabe des Fremdstoffs erniedrigt. Aus diesem Grunde steigt auch der Siedepunkt einer Flüssigkeit bei Zugabe eines Fremdstoffs. Aus dem gleichen Grund sinkt der Schmelzpunkt, wenn man in eine Flüssigkeit einen Fremdstoff tut, etwa Salz in Wasser. 5.4.6 Lösungen Auch der so genannte Bodenkörper und das Gelöste bilden zwei Phasen, zwischen denen ein Übergang stattfinden kann, Abb. 5.32a. Auch hier kommt der Übergang zum Stillstand, wenn die chemischen Potentiale gleich sind, wenn also 93 mBodenkörper = mGelöstes ist. Ein ähnliches System bilden zwei nicht mischbare Flüssigkeiten A und B, Abb. 5.32b. Nicht mischbar heißt keineswegs, dass in der Flüssigkeit A nichts von Stoff B, und dass in Flüssigkeit B nichts von Stoff A enthalten ist. In A ist eine geringe Menge B gelöst, und in B eine geringe Menge A. Das in A gelöste B ist die “Gasphase” des flüssigen B und das in B gelöste A ist die “Gasphase” des flüssigen A. Die Flüssigkeit X stellt jeweils das “Vakuum” für das Gas des Stoffs Y dar. Der osmotische Druck ist hier ein “Dampfdruck”. Auch hier gibt es eine kritische Temperatur Tkr. Oberhalb Tkr sind die beiden Phasen jedes Stoffs nicht mehr voneinander zu unterscheiden, die beiden Stoffe werden mischbar. 5.5 Reale Gase 5.5.1 Der kritische Punkt Ein Gas befolgt die Zustandsgleichung pV = nRT nur, solange r n klein und T groß ist. Abb. 5.33 zeigt die Isothermen von CO2 im p -V-Diagramm und die Isobaren im T-S-Diagramm für Bedingungen, unter denen CO2 nicht mehr ideal ist. Unterhalb der gestrichelten Grenzkurven existieren Flüssigkeit und Gas gleichzeitig. Bewegt man sich auf einer Isotherme (oberes Teilbild) von rechts nach links, so tritt man in einem Punkt b in dieses Koexistenzgebiet ein. Der Anteil Gas vermindert sich dann immer mehr zugunsten der Flüssigkeit. Im Punkt a ist der Phasenübergang abgeschlossen, der ganze Stoff ist flüssig. Die Isotherme steigt hier steil an, denn die Kompressibilität der Flüssigkeit ist sehr gering. Die zu hohen Temperaturen gehörenden Isothermen durchqueren dieses Gebiet nicht. Bei diesen Temperaturen ist eine Unterscheidung zwischen Gas und Flüssigkeit nicht mehr möglich. Die Temperatur, von der ab ein Phasenübergang existiert, heißt kritische Temperatur. Der Druck, bei dem die Isotherme der kritischen Temperatur das Koexistenzgebiet berührt, heißt kritischer Druck pk. Wasserdampf in einem Zustand innerhalb der Grenzkurve heißt Nassdampf.. Abb. 5.33. Kohlenstoffdioxid: Isothermen im pV-Diagramm und Isobaren im T-S-Diagramm 5.5.2 Die Van-der-Waals-Gleichung Ein Gas, für das die Zustandsgleichung des idealen Gases nicht mehr gilt, lässt sich außerhalb der Grenzkurve näherungsweise durch eine etwas kompliziertere Zustandsgleichung beschreiben, die Van-der-Waals-Gleichung: a ˆ Ê Á p + ˆ 2 ˜ ⋅ (Vˆ - b) = RT Ë V ¯ a und b sind zwei das individuelle Gas charakterisierende Konstanten. In Abb. 5.34 ist der Verlauf der Isothermen nach der Vander-Waals-Gleichung eingezeichnet. 5.5.3 Adiabatische Strömung eines realen Gases - der JouleThomson-Effekt Wir betrachten die stationäre Strömung eines realen Gases durch ein Rohr mit einem dissipativen Widerstand (Vergleiche Ab- Abb. 5.34. Isothermen nach der Van-der-WaalsGleichung 94 schnitt 5.3.2) und fragen nach der Temperaturänderung des Gases. Um den Beschleunigungseffekt, der in Abschnitt 5.3.2 behandelt wurde, auszuschließen, erweitert sich das Rohr am Widerstand so, dass die Strömungsgeschwindigkeit davor und dahinter dieselbe ist. Wir fragen also danach, welche Änderung dT der Temperatur bei einer gegebenen Druckänderung dp bei H!=!const entsteht, d.h. nach ∂T ( Hˆ , p ) ∂p Dazu brauchen wir ∂Hˆ (T , p) ∂Hˆ ( T , p) d Hˆ ( T , p ) = dp + dT ∂p ∂T (5.17) Wir gehen aus von d Hˆ = Td Sˆ + Vˆ dp Vergleich mit ∂Hˆ ( Sˆ , p) ˆ ∂ Hˆ (Sˆ, p ) d Hˆ ( Sˆ , p ) = dS + dp ∂p ∂ Sˆ liefert ∂Hˆ ( Sˆ , p) =T ∂ Sˆ ∂Hˆ ( Sˆ, p ) ˆ =V ∂p (5.18) Wir drücken nun die gesuchten Ableitungen in (5.17) durch die bekannten in (5.18) unter Zuhilfenahme der Regeln der Differentialrechnung und einer Maxwellbeziehung aus: ∂Hˆ ( T, p) ∂Sˆ ( T, p ) ˆ ∂ Vˆ (T , p ) = º = Vˆ + T = V-T ∂p ∂p ∂T = Vˆ - TVˆa = Vˆ (1 - Ta ) ∂Hˆ ( T, p) ∂Sˆ (T , p) =T = cp ∂T ∂T Damit wird d Hˆ ( T , p ) = Vˆ (1 - aT )dp + cp dT Mit d Hˆ ( T , p ) = 0 folgt daraus die gesuchte Temperaturänderung: ∂T ( Hˆ , p ) Vˆ (aT - 1) = ∂p cp Stoff H2 He O2 N2 Ti (K) 224 35 1041 866 Tabelle 5.5. Inversionstemperaturen einiger Stoffe (5.19) Für ein ideales Gas ist a!= 1/T, die Temperaturänderung also, wie schon in Abschnitt 5.3.2 berechnet, null. Im Allgemeinen ist der Ausdruck (5.19) für ein Gas für hohe Temperaturen negativ, d.h. Entspannung des Gases hat eine Temperaturerhöhung zur Folge. Für niedrige Temperaturen ist (5.19) positiv: Entspannung des Gases ist von einer Temperaturerniedrigung begleitet. Bei der Inversionstemperatur T i!=!1/a bleibt die Temperatur unverändert, Tabelle 5.5. Wir berechnen die Inversionstemperatur für ein Van-der-WaalsGas. Es ist 95 Ti = ˆ ˆ 1 1 ˆ ∂T ( p ,V ) = V È- 2 a (Vˆ - b) + p + a ˘ = = V i a 1 ∂Vˆ (T , p ) R ÍÎ Vˆ 3 ∂ Vˆ Vˆ 2 ˙˚ Vˆ ∂ T Wir berechnen pi aus der Van-der-Waals-Gleichung RT a pi = ˆ i - ˆ 2 V- b V und setzen ein: Vˆ È 2 a RT a a ˘ Ti = Í- ˆ 3 (Vˆ - b) + ˆ i - ˆ 2 + ˆ 2 ˙ RÎ V V- b V V ˚ Nach Ti aufgelöst ergibt sich Ti = 2 a( Vˆ - b)2 RbVˆ 2 Für nicht zu hohe Gasdichten ist Vˆ >> b und die Inversionstemperatur wird unabhängig vom molaren Volumen: Ti = 2a Rb Die Abkühlung eines sich entspannenden Gases bei E!+!pV!=!const nennt man Joule-Thomson- Effekt. Man nützt ihn im Linde-Verfahren zur Luftverflüssigung aus. 5.6 Das Licht-Gas 5.6.1 Thermische Strahlung Unter den Zuständen des elektromagnetischen Feldes gibt es solche, die mit Hilfe sehr weniger Variablen beschrieben werden können, z.B. - homogenes elektrisches Feld; - ebene elektromagnetische Welle. Eine andere Klasse von Zuständen, die mit ganz wenigen Variablen charakterisiert werden können, stellt die thermische Strahlung dar. Die Variablen, mit denen man sie zweckmäßigerweise beschreibt, sind die in der Thermodynamik üblichen: Energie, Entropie, Volumen, Temperatur, Druck und chemisches Potential. Wir nennen die thermische Strahlung auch thermisches Licht oder Wärmestrahlung. Da die Lichtteilchen, die Photonen, in einem leeren Kasten frei herumfliegen können, bezeichnen wir Licht auch als ein Gas. Thermische Strahlung befindet sich in jedem leeren Behälter, dessen Wände elektromagnetische Strahlung absorbieren. Jeder Körper, der elektromagnetische Strahlung absorbiert, emittiert auch elektromagnetische Strahlung. Im thermischen Gleichgewicht zwischen Wand und Strahlung absorbiert die Wand genauso viel Strahlung wie sie emittiert, und die Strahlung hat dieselbe Temperatur wie die Wand. Absorbiert die Wand des Behälters Strahlung jeder Wellenlänge, ist die Wand also schwarz, so nennt man die Strahlung im Behälter schwarze Strahlung. 96 Abb. 5.35. Spektren von schwarzer Strahlung verschiedener Temperaturen Abb. 5.36. Die Temperatur des linken Körpers nimmt ab. Daher muss die Strahlung Entropie transportieren. Schwarze Strahlung kann sich auch in einem Behälter mit spiegelnden Wänden befinden. Damit Strahlung durch eine einzige Temperatur beschrieben werden kann, muss sie mit sich selbst im thermischen Gleichgewicht sein. Dass das geschieht, kann man erreichen durch ein winziges Staubkörnchen, das Licht jeder Frequenz absorbiert und emittiert. Wir denken uns das Staubkörnchen so klein, dass sein Wärmeinhalt klein ist gegen den der Strahlung, so dass seine Energie und seine Entropie in die Bilanzen nicht aufgenommen zu werden brauchen. Schwarze Strahlung von 300!K ist unsichtbar, sie liegt im Infrarot-Bereich. Das Licht von der Sonne ist auch “schwarz”. Es hat, wie die Sonnenoberfläche, eine Temperatur von etwa 6000!K. Abb. 5.35 zeigt die Spektren von schwarzer Strahlung verschiedener Temperaturen. Wir werden zur Beschreibung des Lichts Verfahren benutzen, die wir auch auf materielle Gase angewendet haben. Wir müssen dabei zunächst von einigen Prozessen absehen, die einem beim Licht natürlich erscheinen: Wir werden zunächst keinen freien Lichtstrahl (etwa von der Sonne zur Erde) betrachten – dieser entspricht einem freien Gasstrahl ins Vakuum. Wir werden auch keine selektiv absorbierenden oder reflektierenden Wände betrachten. Wenn Licht eine bestimmte Wellenlänge hat, so haben die Lichtteilchen (Photonen) einen bestimmten Impuls. Ein Farbfilter, das Licht einer einzigen Wellenlänge durchlässt, lässt Lichtteilchen eines bestimmten Impulses durch. Dem entspricht beim materiellen Gas eine Vorrichtung, die Moleküle eines bestimmten Impulses durchlässt. Ein Problem beim Umgang mit Licht besteht darin, dass die Messung einiger für seine Beschreibung wichtiger Größen schwierig ist: Der Druck ist normalerweise sehr gering und nur schwer messbar. Die Temperatur ist schwer zu messen, da die Entropiedichte des Lichts normalerweise sehr klein ist. Außerdem ist es bei Licht im Gegensatz zum materiellen Gas nahezu unmöglich, im Labor einen Prozess mit n = const durchzuführen. 5.6.2 Die Entropie des Lichts Dass Licht Entropie hat und dass ein Lichtstrom von einem Entropiestrom begleitet ist, erkennt man leicht an dem Experiment von Abb. 5.36. Erfahrungsgemäß kommen die beiden Körper A und B dadurch ins thermische Gleichgewicht, dass Strahlung vom Körper höherer Temperatur zum Körper niedrigerer Temperatur fließt. Da T A abnimmt, nimmt auch die Entropie S A von Körper A ab. Weil Entropie nicht vernichtet werden kann, und außer über die Strahlung keine Verbindung besteht, über die Entropie von Körper A abfließen könnte, muss die Entropie mit der Strahlung wegfließen. 5.6.3 Die Temperatur des Lichts Licht, das von einem Körper emittiert wird, hat dieselbe Temperatur wie der Körper. So hat das Licht, das von der Oberfläche der Sonne kommt, die Temperatur der Oberfläche der Sonne, nämlich etwa 6000!K. Diese Aussage klingt allerdings sehr unplausibel: Wenn Sonnenlicht diese Temperatur hat, – müsste dann nicht alles, was der Sonnenstrahlung ausgesetzt ist, sofort verbrennen? Und wenn Sonnenlicht diese Temperatur hat, dann müsste man sie doch auch messen können, indem man ein Thermometer ins Sonnenlicht stellt. Wir wollen das Problem der Messung der Temperatur des Lichts diskutieren. Um die Temperatur eines Körpers oder eines anderen 97 Systems zu messen, muss das System in thermischem Kontakt mit dem verwendeten Thermometer gebracht werden. Wenn man nun ein Thermometer in die Sonnenstrahlung hält, so ist das Thermometer außer mit dem Licht auch noch mit der Luft im thermischen Kontakt. Wessen Temperatur wird es also anzeigen? Die Situation ist ähnlich wie die in Abb. 5.37 dargestellte, bei der versucht wird, die Spannung von zwei verschiedenen Batterien gleichzeitig mit einem einzigen Voltmeter zu messen. Was das Voltmeter anzeigt, ist nicht leicht vorauszusagen. Auf jeden Fall wird es einen Kompromiss zwischen den Leerlaufspannungen der beiden Batterien machen. Zu wessen Gunsten der Kompromiss ausgeht, hängt von den Innenwiderständen der Batterien ab. Bei unserem Thermometer geht der Kompromiss klar zu Gunsten der Luft aus. Man kann sich nun dadurch zu helfen versuchen, dass man das Thermometer in einem durchsichtigen, evakuierten Behälter unterbringt, Abb. 5.38. Der Temperaturwert, den es nun anzeigt, ist aber immer noch weit entfernt von den erwarteten 6000!K. Das ist normal, denn wir haben noch etwas übersehen. Tatsächlich macht das Thermometer wieder einen Kompromiss: Außer mit dem Sonnenlicht, steht das Thermometer nämlich noch im thermischen Kontakt mit Strahlung aus der Umgebung, d.h. Strahlung, die Umgebungstemperatur hat. Und während die Sonnenstrahlung nur aus einem sehr kleinen Raumwinkelbereich auf das Thermometer fällt, kommt die 300!K-Strahlung aus einem sehr großen Bereich. Es ist also ganz normal, dass auch diesmal die Messung sehr zu Gunsten der Umgebungstemperatur ausgeht. Wie kann man nun aber die Temperatur des Sonnenlichts messen? Man muss einfach dafür sorgen, dass auf das Thermometer Sonnenlicht nicht nur aus einem engen Raumwinkelbereich kommt, sondern aus allen Richtungen, und das erreicht man mit Hilfe von Linsen und Spiegeln, Abb. 5.39. Wenn, vom Thermometer aus, die Sonne in allen Richtungen zu sehen ist, so wird es auch die Temperatur der Sonne anzeigen (Unsere normalen Thermometer sind hierfür natürlich nicht mehr geeignet.) 5.6.4 Das chemische Potential des Lichts Wir betrachten einen spiegelnden Behälter mit einem Staubkörnchen, der mit einer Strahlung gefüllt ist, deren chemisches Potential zunächst ungleich null ist. Da der Behälter ein festes Volumen hat und energetisch isoliert ist, bleibt von der gibbsschen Fundamentalform: 0 = T dS + m dn Wegen des Staubkörnchens kann sich nun die Menge n verändern. Eine solche Veränderung wird eintreten, wenn dabei die Entropie zunimmt, und zwar solange bis S nicht weiter zunimmt, bis also dS = - m dn T null wird. Das ist dann der Fall, wenn m !=!0 geworden ist (das chemische Potential hängt von n ab). Das so entstandene Licht mit m!=!0 ist die schwarze Strahlung. Für schwarze Strahlung ist m = 0. Es gibt auch thermische Strahlung, also Licht einer einheitlichen Abb. 5.37. Man versucht, mit einem Voltmeter die Leerlaufspannungen von zwei Batterien gleichzeitig zu messen. Abb. 5.38. Der thermische Kontakt mit der Luft wurde unterbunden, aber das Sonnenlicht kommt nur aus einem sehr kleinen Raumwinkelbereich. Abb. 5.39. Das Sonnenlicht kommt aus allen Richtungen. 98 Temperatur, mit m !≠!0. Man erhält sie, wenn man Licht ins Gleichgewicht mit einem anderen System setzt, dessen chemisches Potential ungleich null ist, z.B. dem angeregten Elektronensystem eines Halbleiters (Elektronen + Löcher). Thermische Strahlung mit m!≠!0 nennen wir nicht schwarze Strahlung. Abb. 5.40. Zur Messung der Strahldichte. Das Gerät misst die Strahldichte am Ort der Eintrittsöffnung und für die Richtung der optischen Achse des Geräts. 5.6.5 Die Größe Strahldichte Wir suchen eine Größe, mit der man ein Lichtfeld beschreiben kann. Wir sind es gewohnt, Felder zu beschreiben durch die Verteilung von physikalischen Größen im Raum, genauer: im Ortsraum. So beschreibt man etwa ein elektrisches Feld durch die räumliche Verteilung des elektrischen Potentials j (x, y, z), oder ein materielles Gas durch die räumliche Verteilung seiner Temperatur T(x, y, z) und seines Drucks p(x, y, z). Bei einem Lichtfeld interessiert nun nicht nur die Lichtmenge an jedem Ort, sondern an jedem Ort auch noch die Verteilung des Lichts auf die verschiedenen Richtungen. Die Feldgröße, die wir zur Beschreibung des Lichts benutzen, die Strahldichte, ist also eine Funktion des Ortes und der Richtung. Wir nehmen als Maß für die Lichtmenge die Energie des Lichts und definieren die Strahldichte LE über: P= ÚÚ L E dW d A AW P ist die Energiestromstärke, dW das Raumwinkelelement und dA das Flächenelement. Die Strahldichte LE ist also die Energiestromstärke pro Fläche und Raumwinkel oder die Energiestromdichte pro Raumwinkel. Man kann sich von LE leicht eine Anschauung bilden, indem man ein Messverfahren für die Größe betrachtet, Abb. 5.40. Das Gerät misst die Strahldichte am Ort der Linse, durch die das Licht in das Gerät eintritt. Es misst die Strahldichte für das Licht derjenigen Richtung, in die die optische Achse des Geräts weist. Durch Drehen des Geräts an einem festen Ort erhält man die Strahldichte an diesem Ort als Funktion der Richtung. Durch Parallelverschieben erhält man die Strahldichte einer gegebenen Richtung für verschiedene Orte. Bewegt man das Gerät parallel zu seiner optischen Achse, d.h. parallel zu einem Lichtstrahl, so ändert sich seine Anzeige nicht –!falls das Licht in dem Raum weder gestreut noch absorbiert wird. Die Strahldichte ist also auf einem Lichtstrahl konstant. Der angezeigte Wert macht daher auch eine Aussage über das Flächenelement, von dem der Lichtstrahl ausgeht. Man nennt LE da her auch die “Flächenhelligkeit”. Wir betrachten nun einen mit Licht gefüllten Behälter und suchen den Zusammenhang zwischen L E und der Energiedichte r E. Wir führen zunächst die Größe rE' ein, definiert durch rE = r E ¢ (J , j )d W Ú (5.20) rE' (J, j )dW ist also die Energiedichte der Strahlung, die in das Raumwinkelelement dW der Richtung (J, j) läuft. Wir nehmen nun an, die Strahlung in unserem Behälter sei isotrop, d.h. rE' unabhängig von J und j . Dann lässt sich (5.20) aufintegrieren: rE = 4p rE'. (5.21) 99 Nun gilt für die Energiestromdichte j E von elektromagnetischer Strahlung einer einzigen Richtung jE = c · rE, also in unserem Fall LE dW = c · rE' · dW oder LE = c · rE' · Daraus wird mit Gleichung (5.21) rE = 4p LE c (5.22) Man kann als Maß für die Lichtmenge statt der Energie auch die Entropie nehmen. Man kann so eine Entropiestromdichte pro Raumwinkel LS definieren, und man erhält für die Entropiedichte rS in dem mit isotropem Licht gefüllten Behälter rS = 4p LS c (5.23) Wir betrachten nun einen Behälter, in dem sich schwarze Strahlung befindet. Wir fragen danach, wie viel Energie durch eine Öffnung der Fläche A aus dem Behälter heraus in ein Raumwinkelelement dW der Richtung J fließt, Abb. 5.41. Mit dW · d A =! dW!dA cos J wird P= ÚÚL E dW dA = AW Ú Ú L cos J dW dA =AÚ L E A W E cosJ dW W oder dP (J ) = ALE cosJ dW Der Energiestrom dP (J) in ein Raumwinkelelement d W, das in der Richtung J liegt, ist um den Faktor cos!J kleiner als der, der in ein gleich großes Raumwinkelelement senkrecht zur Fläche strömt. Diese Aussage ist unter dem Namen Lambertsches Gesetz bekannt. Für die uns interessierende isotrope Strahlung kann LE vor das Integral gezogen werden, und mit d W!=!sin J d J d j ( j!= Azimut) wird P = ALE p /2 2p Ú Ú sin J cos J d J d j = ALE p 0 442443 { 0 1 1/ 2 2p Dividiert man diesen Ausdruck durch die Fläche A, so erhält man den Betrag der Energiestromdichte. jE =!LE!p Mit Gleichung (5.22) ergibt sich die Beziehung zwischen der Energiedichte rE im Behälter und der Energiestromdichte j E des durch eine Öffnung austretenden Lichts: c jE = r E (5.24) 4 Für die Entropiestromdichte erhält man auf analoge Art c jS = r S 4 (5.25) Abb. 5.41. Zum lambertschen Gesetz 100 5.6.6 Das Stefan-Boltzmann-Gesetz Die Energiestromstärke pro Fläche des von einem schwarzen Strahler emittierten Lichts hängt nur von der Temperatur des Strahlers ab. Es wurde experimentell gefunden jE!=!s T4 mit s!=!5,670 · 10-8!Wm-2K- 4 (5.26) Diese Beziehung heißt Stefan-Boltzman n-Gesetz, s ist die StefanBoltzmann-Konstante. Mit Gleichung (5.24) folgt rE = 4s 4 T c Wir benutzen die Abkürzung a= 4s = 7, 566 ⋅10-16 Jm-3K -4 c (5.27) und erhalten rE!=!aT 4 (5.28) Daraus folgt E!=!aVT 4 (5.29) Außerdem wird mit (5.22) LE = s 4 T p In Worten: Energiedichte, Strahldichte und Gesamtenergie in einem schwarzen Strahler gehen mit der 4. Potenz der Temperatur. 5.6.7 Druck und Entropie der schwarzen Strahlung als Funktion der Temperatur Wir betrachten die schwarze Strahlung in einem Zylinder, dessen Wände schwarz sind und sich auf der Temperatur T befinden, Abb. 5.42. Wir wählen als unabhängige Variablen T und V . Wird der Kolben nach rechts verschoben, so emittiert die schwarze Wand stärker als sie absorbiert, und zwar gerade so, dass das neu gebildete Volumen mit Strahlung derselben Dichte gefüllt wird, wie sie die Strahlung vorher hatte. Aus der gibbsschen Fundamentalform für die schwarze Strahlung, d.h. für Strahlung mit m!=!0 dE!=!T dS!–!p dV wird dS = 1 p dE + dV T T Mit Gleichung (5.29) wird dE(T, V) = 4aVT 3 dT + aT 4 dV Durch Einsetzen in die vorangehende Gleichung ergibt sich dS (T , V ) = 4 aVT 2 dT + aT 3 dV + Abb. 5.42. Beim Herausziehen des Kolbens emittiert die schwarze Fläche Licht, so dass die Dichte der Strahlung im Zylinder gleich bleibt. p dV T p = 4 aVT 2 dT + ÊÁ aT 3 + ˆ˜ dV Ë T¯ 101 Vergleich mit dS (T , V ) = ∂S ( T ,V ) ∂S (T , V ) dT + dV ∂T ∂V ergibt ∂S ( T ,V ) = 4 aVT 2 ∂T und ∂S ( T, V ) p = aT 3 + ∂V T (5.30) Partielle Ableitung der ersten Beziehung nach V und der zweiten nach T, und Gleichsetzen liefert: 4 aT 2 = 3aT 2 + 1 dp p - 2 T dT T und daraus wird: aT 3 = dp p dT T Diese Differentialgleichung hat die Lösung p= a 4 T 3 (5.31) Also auch der Druck von schwarzer Strahlung geht mit der 4. Potenz der Temperatur. Mit Gleichung (5.28) wird auch p= rE 3 (5.32) Wir schließen noch eine Plausibilitätsbetrachtung an, die dasselbe Ergebnis liefert. Wir zerlegen die Strahlung in einem rechteckigen Behälter in 6 Anteile, die je auf eine der Wände zulaufen. Jedem Anteil entspricht eine Impulsstromdichte, die nach der Maxwelltheorie gleich der Energiedichte ist: jpi!=!rEi Mit !rEi!= rE/6 wird jpi!=!rE /6. Der in die reflektierende Wand fließende Impulsstrom ist doppelt so groß wie der der einfallenden Strahlung, also p!=!2 jpi!=!rE/3, also derselbe Ausdruck wie (5.32). Wir suchen nun noch die Entropiedichte ∂S ( T ,V ) ∂V der schwarzen Strahlung. Mit (5.30) und (5.31) wird rS ( T ) = 4 rS ( T ) = aT 3 3 Daraus folgt die Gesamtentropie 4 S = aVT 3 3 (5.33) 102 Die Temperaturabhängigkeit der Entropie ist also dieselbe wie die des Phononengases im Festkörper, Abschnitt 5.2.2. Mit Gleichung (5.23) folgt noch LS = c aT 3 3p Schließlich können wir noch den Zusammenhang zwischen Energie und Entropie angeben: E( S, V ) = 0, 681⋅ 3 Abb. 5.43. Zur isothermen Expansion des Lichts S4 aV 5.6.8 Isotherme, isentrope und isoenergetische Expansion des Lichts Isotherme Expansion, Abb. 5.43 Abb. 5.44. Zur isentropen Expansion des Lichts Der Kolben wird bewegt. Das Wärmereservoir sorgt für T!=!const. Mit den Ergebnissen des vorigen Abschnitts wird: E!µ V S! µ V rE = const rS = const p = const Isentrope Expansion, Abb. 5.44 Die spiegelnden Wände sorgen für S!= const. Bei der Expansion bleibt das Licht thermisch. Mit den Ergebnissen des vorigen Abschnitts folgt: V · T3 = const p · V4/3 = const E/T = const Abb. 5.45. Zur isoenergetischen Expansion des Lichts Isoenergetische Expansion, Abb. 5.45 Dies ist das Analogon zum Gay-Lussac-Versuch. Zuerst befindet sich nur im linken Behälter Licht. Dann wird die Verbindung nach rechts hergestellt. Mit den Ergebnissen des vorigen Abschnitts wird: V · T4 = const S · T = const p · V = const Bei dieser Entspannung nimmt nach der ersten Beziehung T ab. Mit der zweiten folgt dann, dass S zunimmt, wie es wegen des 2. Hauptsatzes auch sein muss. 5.6.9 Die kosmische Hintergrundstrahlung Die beiden letzten der im vorigen Abschnitt beschriebenen Prozesse sind im Labor nicht zu realisieren, da auch die besten Spiegel noch so stark absorbieren, dass das Licht immer im thermischen Gleichgewicht mit der Zylinderwand ist. Dagegen ist die isentrope Expansion in der Natur realisiert: Das Universum expandiert, und dabei kühlt sich das Licht, das den Kosmos erfüllt und 800!000 Jahre nach dem Urknall eine Temperatur von 3000!K hatte, immer weiter ab. Seine Temperatur beträgt heute 2,7!K. Es wird als kosmische Hintergrundstrahlung bezeichnet. 103 5.6.10 Das Gas-Kondensat-Analogon Die Tatsache, dass bei der isothermen Expansion oder Kompression des Lichts, Abb. 5.43, die Werte aller intensiven Variablen konstant bleiben und die Werte der mengenartigen Größen proportional zum Volumen sind, kennen wir vom materiellen Gas her: Ein materielles Gas verhält sich genauso, wenn es im Gleichgewicht mit seinem Kondensat steht. Die schwarzen Wände im Lichtexperiment entsprechen dem Kondensat. Beim Vergrößern des Volumens kommt aus den Wänden neues Licht heraus, beim Verkleinern verschwindet es darin. Das Licht reagiert mit der Wand, genauer: mit dem Elektronen- und Phononensystem der Wand, und die chemischen Potentiale von Licht und Wand sind immer gleich (und gleich Null). Gleichung (5.31) entspricht in diesem Bild der Dampfdruckkurve. Abb. 5.46. In dem lumineszierenden Körper nimmt die Temperatur des Lichts ab und das chemische Potential zu. 5.6.11 Licht, dessen chemisches Potential ungleich null ist Um thermische Strahlung mit m ≠!0 zu erzeugen, bringt man Licht ins chemische Gleichgewicht mit Reaktionspartnern, deren chemisches Potential ungleich null ist. Es eignet sich z.B. die Reaktion e+h´ g e und h sind Elektronen bzw. Defektelektronen (Löcher) in einem Halbleiter, g steht für Licht. Im Gleichgewicht ist me!+ mh!= mg! Die Werte von m e!und mh!sind aus der Festkörperphysik bekannt. Will man einen Lichtstrahl mit m ≠!0 erzeugen, so muss man von dem einen Reaktionspartner, nämlich von g , ständig etwas wegnehmen. Damit die Konzentration der Elektronen und Löcher erhalten bleibt, muss man daher ständig neue erzeugen. Das geht z.B. durch “Pumpen” mit einer anderen Lichtquelle, etwa mit Sonnenlicht. Der ganze Vorgang läuft ab in einem lumineszierenden Festkörper, Abb. 5.46. Das einfallende Licht hat eine hohe Temperatur, aber m =!0. Das abgegebene Licht hat die Temperatur des Festkörpers, also T ª 300!K, aber sein chemisches Potential ist größer als null. Der Festkörper lädt also Energie um – vom Träger Entropie auf den Träger Menge. Statt mit Licht kann man auch elektrisch “pumpen”. Das geschieht in einer Lumineszenzdiode. Auch dieses Licht hat also T ª 300!K und m >!0. 5.6.12 Energietransport mit thermischer Strahlung Zwei schwarze Strahler mit verschiedenen Temperaturen T1 und T2 befinden sich in einem spiegelnden Kasten, so dass die Strahlung, die der eine emittiert, entweder auf den emittierenden Körper zurückfällt, oder vom anderen Körper absorbiert wird, Abb. 5.47. Der resultierende Energiestrom zwischen den Körpern ist die Summe aus einem vom rechten zum linken fließenden und aus einem vom linken zum rechten fließenden. Das Analoge gilt für den Entropiestrom. Sind die Temperaturen T1 und T 2 nicht sehr unterschiedlich, ist also D T = T 2 – T 1!!100!˚C. Das Temperaturgefälle zwischen 100!˚C und Umgebungstemperatur wurde also nicht genutzt. 109 a b Abb. 6.12. Idealisierter Prozess des Ottomotors (a) im p-V- und (b) im T-S-Diagramm 6.4 Maschinen mit innerer Verbrennung 6.4.1 Zyklisch arbeitende Maschinen – der Ottomotor Abb. 6.12 zeigt das p-V- und das T-S-Diagramm des idealisierten Ottomotors. Die Entropiezunahme beim Prozessschritt AB kommt zustande durch Entropieerzeugung im Zylinder: durch Verbrennung von Benzin. Das geschieht im oberen Totpunkt, und zwar so schnell, dass sich das Volumen während des Verbrennungsvorgangs praktisch nicht ändert. BC ist der “Arbeitstakt”. Das heiße Gas (N2, H2O und CO2) entspannt sich. Der Prozessschritt CD besteht in Wirklichkeit nicht in der Abkühlung des Gases bei festem Volumen. Das Gas wird vielmehr in einem weiteren Kolbenhub durch frisches, kaltes Gas ersetzt. Im Prozessschritt DA wird das Frischgas isentrop komprimiert. 6.4.2 Strömungsmaschinen – die Gasturbine Der Prozess ist im wesentlichen derselbe wie der Joule-Prozess, Abb. 6.13. Der Arbeitsstoff ist Luft – deren Sauerstoff sich allerdings mit dem Brennstoff zu anderen Gasen (H2O und CO2) verbindet. Der Kompressor verdichtet Luft aus der Umgebung. Die Entropiezufuhr geschieht in den Brennkammern durch Verbrennen des Brennstoffs. Die heißen Gase entspannen sich in der Turbine. Beim Strahltriebwerk ist die Turbine so ausgelegt, dass sie nur den Kompressor antreibt. Das die Turbine verlassende Gas hat dann relativ zum Triebwerk eine hohe Geschwindigkeit. Das heißt, es fließt ein Impulsstrom vom ausströmenden Gas in das Triebwerk – und von dort in das Flugzeug. Abb. 6.13. Gasturbine 110 6.5 Kältemaschinen Jede reversibel arbeitende Wärmekraftmaschine kann man als Kältemaschine laufen lassen. Die Maschinen mit innerer Verbrennung, für deren Funktionsweise die Irreversibilität fundamental ist, sind hierfür nicht geeignet. Abb. 6.14. Im Kühlschrank läuft im Wesentlichen ein umgekehrter Clausius-Rankine-Prozess ab. 6.5.1 Umgekehrter Stirling- und Clausius-Rankine-Prozess Dass der Stirlingmotor als Kältemaschine arbeiten kann, wurde schon erwähnt. Am weitesten verbreitet ist aber der umgekehrte Clausius-Rankine-Prozess: Er wird in den meisten Kühlschränken und Gefriertruhen verwendet, Abb. 6.14. Statt in einer Expansionsmaschine entspannt man den flüssigen Arbeitsstoff in einer Drossel (E!+!pV!=!const). Damit hat die Kühlmaschine zwar einen schlechten Wirkungsgrad, aber sie ist dafür weniger kompliziert. 6.5.2 Das Linde-Hampson-Verfahren Es wird zur Verflüssigung von Gasen verwendet, Abb. 6.15. Das Gas wird auf 100 bis 200!bar komprimiert, und in einer Drossel entspannt. Dabei kühlt es sich aufgrund des Joule-Thomson-Effekts ab. Mit diesem abgekühlten Gas wird das nachströmende Gas vorgekühlt. Dadurch wird die Temperatur des entspannten Gases immer niedriger, bis schließlich ein Teil davon flüssig wird. Gase, deren Inversionstemperatur unter Normaltemperatur liegen, wie H2 oder He, müssen zunächst mit einem anderen Verfahren unter die Inversionstemperatur gebracht werden. Abb. 6.15. Das Linde-Hampson-Verfahren 111 7. Entropie und Wahrscheinlichkeit 7.1 Die Datenmenge Wir wollen Nachrichten mit Hilfe von Karten übertragen, Abb. 7.1. Auf jeder Karte kann eins von z zwischen Sender und Empfänger vereinbarten Zeichen stehen, z.B. einer der Buchstaben des Alphabets. Wir suchen ein Maß für die Menge an Daten, die mit einer Karte übertragen wird. Der Einfachheit halber betrachten wir zunächst den Fall, dass es nur zwei Zeichen gibt, z.B. ein Kreuz und einen Kreis. Der Zeichenvorrat ist also z!=!2. Mit einer Karte kann man dann eine von zwei möglichen Nachrichten übertragen, man kann zwischen zwei Nachrichten auswählen. Mit zwei (in geordneter Reihenfolge abgesendeten) Karten kann man zwischen 2!·!2!=!4 Nachrichten auswählen, und mit n Karten zwischen 2n Nachrichten. Man könnte die Zahl N!=!2n als Maß für die mit n Karten übertragene Datenmenge benutzen. Das so definierte Maß hätte aber den Nachteil, nicht mengenartig zu sein. Das sieht man so: Wir schicken zunächst 3 Karten ab. Für 3 Karten ist Na = 23 = 8. Wir schicken danach noch 2 weitere Karten ab. Für zwei Karten allein ist Nb = 22 = 4. Für alle 5 Karten zusammen ist aber Nc = 25 = 32. Es ist also Nc ≠ Na + Nb. Ein besseres Maß für die Menge an Daten ist daher der Logarithmus der Zahl N der möglichen Nachrichten. Wir definieren also provisorisch die Datenmenge H: H!=!f!·!ln N mit N = Zahl der möglichen Nachrichten. Mit der Konstante f wird die Maßeinheit von H festgelegt. Für N!=!2, also für den Fall, dass zwischen zwei Möglichkeiten entschieden wird, soll H!=!1!bit sein, also 1 bit = f ⋅ ln 2 fi f = 1 bit ln 2 Mit n Karten wird dann eine Datenmenge von H= 1 bit ln 2 n = n bit ln 2 übertragen. Mit ln!x/ln!2!=!ld!x kann man auch schreiben H = ld N bit Ist der Zeichenvorrat z groß, so ist auch die Datenmenge pro Karte, und damit pro Zeichen groß. Mit z!=!32 ist für eine Karte N!=!32, also H!=!ld!32!bit!=!5!bit. Abb. 7.1. Vom Sender zum Empfänger fließt ein Datenstrom. 112 a b c Abb. 7.2. Obwohl in jedem Fall zwei Zeichen verwendet werden, ist die Datenmenge bei den drei Übertagungen (a), (b) und (c) nicht gleich. Nimmt man an, dass es 2000 chinesische Schriftzeichen gibt, so ist die mit einem Zeichen übertragene Datenmenge H!=!ld!2000!bit!ª!11!bit. Wir überzeugen uns nun davon, dass der Ausdruck !f!·!ln N immer noch kein gutes Datenmengenmaß ist. Wir betrachten drei Beispiele, in denen von zwei möglichen Nachrichten eine ausgewählt wird. Es wird also ein Zeichenvorrat von Z = 2 gebraucht, und da jedes Mal nur ein Zeichen übertragen wird, wäre H !=!1!bit, Abb. 7.2. (a) Der Absender würfelt und teilt dem Empfänger mit, ob er eine gerade oder eine ungerade Zahl gewürfelt hat. (b) Der Absender würfelt und teilt dem Empfänger mit, ob er eine Sechs gewürfelt hat. (c) Der Absender würfelt und teilt dem Empfänger mit, ob er eine Sieben gewürfelt hat. Die Formel !f!·!ln N liefert jedes Mal dasselbe Ergebnis, nämlich 1!bit. Von einem vernünftigen Datenmengenmaß würde man aber erwarten, dass H3 < H2 < H1 ist, ja, dass sogar H3 =!0 ist, denn wenn der Empfänger die Nachricht schon vor der Übertragung weiß (in unserem Fall, dass keine Sieben gewürfelt wurde), so sollte die Datenmenge, die er mit der Nachricht bekommt, null sein. Ein Maß, das dieser Forderung gerecht wird, wurde von Claude Shannon eingeführt: H = -f ⋅  p ln p i i i Die Summe erstreckt sich über alle möglichen Nachrichten. pi ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Nachricht i gesendet wird. In dem Fall, dass alle Nachrichten gleichwahrscheinlich sind, ist p1!=!p2!=!p3!=!…!=!pi!=!…!=!1/N, und H geht in den alten Ausdruck !f!·!ln N über. In dem Beispiel ist 1) p(gerade) = 0,5 p(ungerade) = 0,5 H = 1 bit 2) p(Sechs) = 1/6 p(nicht Sechs) = 5/6 H = 0,65 bit 3) p(Eins bis Sechs) = 1 p(Sieben) = 0 H = 0 bit An dem Beispiel erkennt man zwei wichtige Eigenschaften des Shannonschen Datenmengenmaßes: 1) Ist eine der Wahrscheinlichkeiten gleich eins und sind alle anderen gleich null, so ist H = 0: Z H = -f ⋅  p ln p i i = - f ( Z - 1) lim( p ln p) - f ⋅1 ⋅ ln 1 = 0 , pÆ 0 i =1 denn lim( p ln p) = lim pÆ 0 p Æ0 ln p = º = 0 (l' Hospitalsche Regel) 1/ p 2) Bei gegebenem Zeichenvorrat Z ist H maximal für p1!=!p2!=!p3!=!…!=!pZ. Zum Beweis berechnet man den Extremwert von 113 Z  p ln p H( p1 , p2 , º p Z ) = - f ⋅ i i i= 1 unter der Nebenbedingung j( p1 , p2 ,º p Z ) = Âp i -1 = 0 i (Die Summe der Wahrscheinlichkeiten ist gleich eins). Abb. 7.3 zeigt H(p1) für den Fall, dass Z = 2 ist: H!= –!f [p1 ln p1 + (1 – p1) ln(l – p1)] Wir begegnen hier einem Problem, das auch für die statistische Thermodynamik typisch ist. Man kann H leicht ausrechnen für so unsinnige Mitteilungen wie die, ob eine gerade oder ungerade Zahl gewürfelt wurde, denn die Wahrscheinlichkeitsverteilung über die möglichen Nachrichten ist uns hier bekannt. Meist ist es aber nicht so leicht, Wahrscheinlichkeiten anzugeben. Woher kennen wir überhaupt die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten der Zahlen beim Würfeln? Wir haben dafür zwei Quellen: Erstens können wir sie experimentell bestimmen. Wir würfeln sehr oft und bestimmen die Häufigkeiten mit denen die Augenzahlen auftreten. Zweitens können wir die Wahrscheinlichkeiten “a priori” angeben. Wir schließen aus der Symmetrie des Würfels und der völligen Unbestimmtheit des Würfelvorgangs, dass alle Augenzahlen dieselbe Wahrscheinlichkeit haben. Abb. 7.3. Datenmenge im Fall einer Übertragung mit zwei Zeichen als Funktion der Wahrscheinlichkeit der Zeichen 7.2. Verallgemeinerung des Zustandsbegriffs – das gibbssche Ensemble In Abschnitt 4.1 wurde erklärt: In einem bestimmten Zustand hat jede Variable einen bestimmten Wert. Mit diesem Zustandsbegriff lassen sich viele reale Situationen nicht beschreiben, nämlich alle die, in denen die Werte von Variablen nicht bekannt sind. Wir betrachten ein Beispiel, das zwar auf den ersten Blick etwas unsinnig erscheint, an dem sich aber das Problem leicht erläutern lässt. In einem undurchsichtigen Kasten befinde sich eine flache Magnetpille, deren magnetisches Moment m 0 senkrecht auf der Scheibenebene steht, Abb. 7.4. Der Kasten wird geschüttelt und auf den Tisch gestellt. Wir fragen nun nach dem Zustand des Magneten, wobei die betrachtete Zustandsmannigfaltigkeit nur durch den Wert des magnetischen Moments bestimmt sei. Im Sinne der früher gegebenen Zustandsdefinition müssten wir sagen: Wir kennen den Zustand nicht. Wir wären am Ende unserer Weisheit. Unser gesunder Menschenverstand sagt uns nun aber, dass wir über den Magneten doch eine Menge mehr als gar nichts wissen, nämlich 1) Es ist entweder m = (0, 0, m 0) oder m = (0, 0, –m0), aber sicher nicht m = (0,5 · m0, 0, 0) etc. 2) Da wir geschüttelt haben, die Magnetscheibe symmetrisch und weder der Kasten noch der Tisch selbst magnetisch ist, ist die Wahrscheinlichkeit p (↑) dafür, dass das magnetische Moment nach oben weist, gleich 0,5 und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es nach unten weist p(Ø) auch 0,5: p(↑)!=!p(Ø)!=!0,5 Wir können also eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die Abb. 7.4. Obwohl man nicht weiß wie herum der Magnet liegt, ist sein Zustand nicht völlig unbekannt. 114 a b Abb. 7.5. (a) In dem rechten Behälter befindet sich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit reiner Wasserstoff und mit einer anderen Wahrscheinlichkeit reiner Sauerstoff. (b) Zum Zeitpunkt t 0 ist das Gas von links zum Teil in die rechte Seite des Behälters eingedrungen. Werte der Variable angeben. Genau das tut man nun auch, um den Zustandsbegriff zu verallgemeinern: In einem bestimmten Zustand gehört zu den Werten jeder Variable eine bestimmte Wahrscheinlichkeitsverteilung. Mit Hilfe der statistischen Physik wird man den so definierten Zustand vieler Systeme angeben können: die Energie und die Geschwindigkeit der Moleküle in einem Behälter, die Energie der Elektronen in einem Halbleiter, den Impuls der Photonen in einem Strahlungshohlraum, das magnetische Moment der Teilchen eines paramagnetischen Materials. Es ist die wichtigste Aufgabe der statistischen Physik, solche Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu berechnen. Dies hört sich etwas nach Zauberei an: Man kann keine Wahrscheinlichkeiten ausrechnen, wenn man in die Rechnung nicht irgendwo Wahrscheinlichkeiten hineinsteckt – aber das tut man in der statistischen Physik genauso, wie wir es bei der Magnetscheibe getan haben. Es geschieht immer in der Form “Die Wahrscheinlichkeiten aller Zustände… [genauere Beschreibung]… sind untereinander gleich”. Die so angegebenen Wahrscheinlichkeiten sind A-priori-Wahrscheinlichkeiten. Die Begründung für die Gleichheit ist die: Wir kennen keinen Grund dafür, dass sie verschieden sein sollten. Viele Physiker empfinden angesichts dieser Begründung ein Unbehagen. Sie versuchen sich dadurch zu beruhigen, dass sie sagen, man könne doch, wenigstens in Gedanken, die Wahrscheinlichkeiten experimentell bestimmen. Hierzu braucht man den Begriff des gibbsschen Ensembles. Man stellt sich vor, die zu beschreibende Anordnung existiert in einer sehr großen Zahl von Exemplaren. Dies ist das gibbssche Ensemble (auch kurz Ensemble, Gesamtheit oder Kollektiv). Man misst nun den Wert der interessierenden Größe an jedem Exemplar und erhält eine Häufigkeitsverteilung. Diese, sagt man, ist gleich der gesuchten Wahrscheinlichkeitsverteilung. Alle Aussagen, die man über ein System macht, macht man also auch über das Ensemble. Man kann auch sagen: Das Ensemble ist das System. Mit Hilfe des Ensemble-Begriffs kann man nun den Zustand zunächst verbal beschreiben, ohne Wahrscheinlichkeitswerte anzugeben. Man sagt, man gibt die Systemvorbereitung oder -präparation an. Beispiele 1) 1!mol H2 befinde sich in einem Behälter, der im thermischen Kontakt mit einem Wärmereservoir der Temperatur T steht. 2) Mit Hilfe eines radioaktiven Präparats wird eines von zwei Ventilen geöffnet: Falls innerhalb 1!s ein Zerfall stattfindet, fließt 1!mol Sauerstoff in einen Behälter, falls keiner stattfindet, 1!mol Wasserstoff, Abb. 7.5a. 3)!Zustand zum Zeitpunkt t != t 0, Abb. 7.5b: Links befindet sich Luft von T =…, p =… Im Zeitpunkt t0!– 10–8!s wird die Wand herausgezogen. 4) In einen Behälter werden nacheinander 105 Moleküle, eins nach dem anderen, nach folgender Prozedur hineingetan: Geh aus dem Labor zum Aufzug, sieh nach wie viele Männer und wie viele Frauen wegfahren. Tue für jeden Mann ein O2- und für jede Frau ein N2-Molekül in den Behälter. Geh wieder zum Aufzug etc. 115 7.3 Die Entropie einer Verteilung Abb. 7.6 zeigt die Wahrscheinlichkeitsverteilung p(x) über den Werten der Größe x. Mit dieser Verteilung kann man mehrere Größen oder Zahlen bilden. Mittelwert von x : x=  p (x ) x i i i Streuung (= Varianz) von x : ( Dx)2 =  p (xi )( xi - x )2 i ( Die Wurzel daraus heißt Standardabweichung) Entropie der Verteilung :  p( x ) ln p(x ) h=- i i i Abb. 7.7 zeigt drei sehr spezielle Verteilungen, die alle denselben Mittelwert haben. Die hier definierte Entropie hat nur dann einen endlichen Wert, wenn die Verteilung diskret ist, d.h. wenn x nur endlich viele verschiedene Werte annehmen kann. Der so definierte Entropiebegriff kann auf jedes physikalische System angewendet werden. Wir betrachten ein System mit einer einzigen unabhängigen Variable, etwa ein System von N Teilchen, deren magnetische Momente in einer von zwei Richtungen stehen können: nach oben oder nach unten, Abb. 7.8. Wenn der Betrag des magnetischen Moments des Einzelteilchens m0 ist, so kann das gesamte magnetische Moment die Werte Nm 0 , (N!–!1)m0 ,…, 0,…, –!(N!–!1)m0, –Nm0 annehmen. Wir beschreiben nun einen Zustand des Systems durch Angabe einer Präparationsvorschrift, etwa: Bring das System in thermischen Kontakt mit einem Wärmereservoir der Temperatur T . Tun wir das mit allen Mitgliedern des gedachten gibbsschen Ensembles, so erhalten wir in Gedanken eine Häufigkeitsverteilung über die Werte von m und damit eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Von dieser könnte man die Entropie h berechnen. Statt der umständlichen Beschreibung der Präparationsvorschrift können wir aber auch gleich sagen: Gegeben ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung p(mi), und die zugehörige Entropie berechnen. Unter den Wahrscheinlichkeitsverteilungen über m gibt es nun eine Klasse ausgezeichneter Verteilungen: solche, bei denen alle p außer einem gleich null sind. Die Entropie einer solchen Verteilung ist null. Zu jeder solcher Verteilung gehört ein Zustand. Es gibt also eine Klasse von Zuständen mit der Entropie null. Wenn man die Zustände durchnummeriert i = 1,…, so kann man auch sagen: In der Gleichung Abb. 7.6. Aus der diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung kann man verschiedene Zahlen bilden. x=5 1 p (D x )2 = 0 h= 0 0,5 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 x=5 1 p (D x )2 = 1 h = ln 2 0,5 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 p 0,5 0 x=5 (D x )2 = 16 h = ln 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Abb. 7.7. Drei Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die alle denselben Mittelwert, aber verschiedene Streuungen und verschiedene Entropien haben.  p(i) ln p(i) h= - i ist zu summieren über die Zustände mit der Entropie null. Abb. 7.8. Das System hat als einzige Variable das magnetische Moment. Das magnetische Moment jedes Teilchens kann nur zwei Werte annehmen. 116 7.4 Die physikalische Entropie eines Systems Wir behaupten nun, dass die im vorigen Abschnitt definierte Entropie h bis auf einen Faktor gleich der physikalischen Entropie ist: S = -k  p(i ) ln p(i) i mit k = 1, 380 ⋅10 -23 JK -1 (Boltzmann, Konstante). Zu summieren ist über alle Zustände mit S!=! 0. Wir machen das an dem Beispiel des vorigen Abschnitts plausibel. Das System bestehe aus vier energetisch entarteten magnetischen Momenten. Die 16 Zustände mit der Entropie null sind in Abb. 7.9 aufgelistet. 1. S wächst von allein Wir bringen das System in einen Zustand mit h !=!0, z.B. in den Zustand mit p1!=!1, p2!=!… = p16!=!0. Wartet man nun hinreichend lange, so werden schließlich alle Wahrscheinlichkeiten gleich p1!=! p2!=!…!=! p16!=!1/16. Damit nimmt h von 0 auf ln!16 zu. Der Zustand maximaler Entropie ist ein Gleichgewichtszustand. Im Gleichgewicht sind alle Wahrscheinlichkeiten pi gleich. Die wahrscheinlichkeitstheoretisch definierte Entropie h hat damit eine Eigenschaft mit der physikalischen Entropie S gemeinsam: Überlässt man ein System sich selbst, so nimmt sie zu. Abb. 7.9. Die 16 Zustände der Entropie S !=!0 eines Systems aus 4 magnetischen Momenten 2. Mengenartigkeit Wir betrachten die unabhängigen Systeme A und B. A habe N A und B habe NB Zustände mit h!=!0. Es ist also Âp A (i ) ln pA ( i ) Âp B ( j ) ln pB ( j ) hA = - i hB = - j Das aus A und B zusammen bestehende System AB hat NAB!=!!NA!·!NB Zustände mit h!=!0. Die Wahrscheinlichkeit des durch i und j charakterisierten Zustands ist pA(i)!· pB(j). Es ist also hAB = - Âp A ( i) ⋅ pB ( j ) ln[ p A ( i) ⋅ pB ( j )] i, j =-  p (i) p Mit B ( j ) ln A i Âp A ( i) = 1 und i hAB = - pB ( j ) - j  p ( j ) p A (i ) ln B j pA (i ) i  p ( j ) wird B j Âp B ( j ) ln j p B( j ) - Âp A (i ) ln pA (i ) i = hA + hB Die Entropie h AB des Gesamtsystems ist also gleich der Summe der Entropien hA und hB der Teilsysteme. 117 3. Wenn Wärme fließt, fließt auch h Wir betrachten zwei Systeme A und B bestehend aus je vier magnetischen Momenten, diesmal aber in einem äußeren Magnetfeld, Abb. 7.10. Es liegt also keine Entartung vor. Der Nullpunkt der Energie wird so gelegt, dass E!=!0 ist, wenn die magnetischen Momente in Feldrichtung stehen. Steht ein magnetisches Moment umgekehrt, so ist die Energie E 0. Die beiden Systeme seien voneinander und von der Umgebung energetisch isoliert. Der Anfangszustand sehe so aus: Die Energie von A betrage zwei Einheiten E0, also 2 E0, die von B sei Null. Man entnimmt Abb. 7.9, dass A sechs Zustände mit h!=!0 hat (Nr.!6 bis 11) und B einen (Nr.!l). Jedes der Systeme A und B befinde sich im Gleichgewicht, d.h. im Zustand maximaler Entropie. Es ist also (Index a: Anfang): hAa = ln 6 = 1,79 und hBa = ln 1 = 0. Wir bringen nun A und B in thermischen Kontakt miteinander. Wir wissen, dass dabei 1) Entropie S von A nach B fließt und 2)!Entropie erzeugt wird. Wir wollen prüfen, ob das auch für unsere statistisch definierte Entropie h zutrifft. Durch Abzählen findet man, dass das Gesamtsystem 28 Zustände mit h!=!0 hat (in denen E!=!2E0 ist). Sind beide Systeme im thermischen Gleichgewicht, so sind diese alle gleichwahrscheinlich und es ist (Index e: Ende): hABe = ln 28 = 3,33 > hAa + hBa Außerdem ist hAe = hBe =!0,5 · hABe = 0,5 · ln 28 = 1,67 also hAe < hAa und hBe > hBa Die Entropie h von A hat also ab-, die von B zugenommen. Außerdem hat die Gesamtentropie hAB zugenommen – alles wie wir es von der physikalischen Entropie S her kennen. 7.5 Entropie und Temperatur Man kann eine kleine Klasse von Wahrscheinlichkeitsverteilungen, nämlich die des Gleichgewichts, sehr einfach beschreiben: durch Angabe einer einzigen Zahl, der Temperatur. Für ein isoliertes System im Gleichgewicht ist W p (1) = p ( 2) = º fi S = -k  p(i ) ln p(i ) i =1 1 1 ln W W S = k ln W = -kW Mit dE!=!T!dS folgt daraus kT = 1 d (ln W ) / dE Abb. 7.10. Zwei Systeme aus je 4 magnetischen Momenten 118 7.6 Entropie und Datenmenge Aus der Gleichheit der Ausdrücke für S und H folgt, dass man die Entropie als Datenmenge deuten kann. Sieht man in unserem Beispiel mit den vier magnetischen Momenten nach, wie jedes einzelne Moment orientiert ist, so fließt aus dem System die Datenmenge H = -f  p(i) ln p(i ) heraus, wobei i über die Zustände mit S!=!0 läuft. Statt zu sagen “das System enthält die Entropie S” kann man auch sagen “das System enthält Daten der Menge H”. Identifiziert man S und H, so folgt: f = bit = k = 1, 380 ⋅10 -23 JK -1 ln 2 und damit 1 bit = 0,9565 · 10–23 JK–1 das heißt 1 bit ª 10–23 J/K Aus der Tatsache, dass jedes System, das Entropie enthält auch Daten enthält, folgt nicht, dass man das System als technischen Datenspeicher verwenden kann. Von einem Datenspeicher erwartet man, dass er nicht von selbst ins innere Gleichgewicht oder ins Gleichgewicht mit der Umgebung gerät. 119 Literatur G. FALK, Theoretische Physik, II Thermodynamik, Heidelberger Taschenbücher, Springer-Verlag 1968. G. JOB, Neudarstellung der Wärmelehre – die Entropie als Wärme, Akademische Verlagsgesellschaft Frankfurt am Main, 1972. G. FALK, W. RUPPEL, Energie und Entropie, Springer-Verlag, 1976. 120 Register absoluter Nullpunkt 22 Arbeit 53 Bernoulli-Gleichung 88 Bilanzgleichung 7 f. Carnotprozeß 79 Carnotwirkungsgrad 19 chemische Spannung 33 chemisches Gleichgewicht 33, 63 chemisches Potential 33 f. chemisches Potential, Nullpunkt 35 chemisches Potential, Skala 34 Clausius-Clapeyron-Gleichung 91 Clausius-Rankine-Prozeß 108 Dampfdruck 89 f. Dampferzeuger 13 Datenmenge 111 Debye-Temperatur 83 Diffusion 33, 41 Dissipation 9, 16 Druckkoeffizient 59 Dulong-Petitsches Gesetz 83 Elementarquantum 31 Energieformen 52, 60 Energiestrom 13 Entropie 11 f., 111 f. Entropieeinheit 14 Entropieerzeugung 16 f. Entropiekapazität 22 Entropieleitfähigkeit 25 Entropiemessung 20 Entropieskala 12 Erhaltungsgrößen 7 f. Feststoffe 82 Fließgleichgewicht 64 f. Flüssigkeiten 80 Gaskonstante 56 Gasturbine 107, 109 Gemisch 73 Gibbsfunktion 49 f. Gibbsfunktion, lineare Approximation 58 Gibbssche Fundamentalform 47 f. Gibbssches Ensemble 113 f. Gleichgewicht 62 f. gravitochemisches Potential 72 Grundstoffe 29 Hauptsatz, erster und zweiter 21 Heißluftmotor 106 Hintergrundstrahlung 102 ideales Gas 67 f. Inversionstemperatur 94 irreversible Prozesse 16 Joule-Prozeß 107 Joule-Thomson-Effekt 93 Kältemaschinen 110 Katalysator 42 Kernreaktionen 42 Kirchhoffsches Strahlungsgesetz 104 Kompressibilität 58 Kondensator 13 konduktiver Entropiestrom 27 konvektiver Entropiestrom 27 Kreisprozesse 59 f., 79 f. kritischer Punkt 89, 93 Lambertsches Gesetz 99 Licht 95 f. Licht, chemisches Potential 97, 103 Licht, Entropie 96 Licht, Temperatur 96 Linde-Hampson-Verfahren 110 Lösungen 71, 92 Maschinen 105 f. Massenwirkungsgesetz 74 f. Maxwellbeziehung 55, 56 Menge 31 f. mengenartige Größen 7 f. Mischungsentropie 74 Molenbruch 74 Normalform 32 osmotischer Druck 71 Ottomotor 109 Partialdruck 73 Phase 89 Phasenübergang 89 Preßluftmaschine 79 Reaktionen 33 f. Reaktionen, elektrochemische 43 Reaktionen, Entropiebilanz 44 Reaktionsumsatz 32 Reaktionswiderstand 40 reales Gas 93 f. Reibung 9 reversible Prozesse 16 schwarze Strahlung 95 sieden 92 Stefan-Boltzmann-Gesetz 100 Stirlingprozeß 106 Stoffmenge 31 f. Strahldichte 98 f. Strömungen 84 f. Strömungsmaschinen 107 System 47 Systemvorbereitung 114 Temperatur 14 Temperatureinheit 14 Temperaturmessung 20 Temperaturskala 13 thermische Strahlung 95 thermisches Gleichgewicht 19, 63 Umsatzrate 43 van-der-Waals-Gleichung 93 verdunsten 92 Verlust 18 Volumenausdehnungskoeffizient 58 Wahrscheinlichkeit 111 f. Wärme 53, 60 Wärmekapazität 24 Wärmekraftmaschine 13, 105 Wärmeleitfähigkeit 25 Wärmemotor 13, 15, 105 Wärmepumpe 15, 105 Wirkungsgrad 18 Zentralheizung 107 Zerlegung von Systemen 50 f. Zustand 47 Zustandsgleichung 54 f. Zustandsgleichung, thermische 55, 67